Ausgabe 7 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Kuratoren im Urlaub

Die Ausstellung MOV!NG ON. Handlungen an Grenzen – Strategien zum antirassistischen Handeln in der NGBK

Bild aus dem Video: „Alien (Ten Songs from Beyond)" von Candice Breitz

Vielleicht wäre das Leben zu einfach, wäre das Gute stets und in jeder Hinsicht gut. Und da man es sich ja bekanntlich nicht zu leicht machen darf mit dem Leben und ähnlichen Dingen, wäre es gewiß verfehlt, finge der Autor jetzt an, sein Leid zu klagen. Der aufgeräumte Leser erwartet stattdessen, daß hier fröhlich die Komplexität des Daseins besungen wird und ausschweifend Huldigung erfährt. Nun gut, besingen wir also etwas Komplexes, das im Grunde ganz einfach ist.

All right, folks, das nächste Lied heißt „Kuratoren im Urlaub" und handelt von der aktuellen Ausstellung in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK), die da heißt: MOV!NG ON. Handlungen an Grenzen – Strategien zum antirassistischen Handeln. Der Refrain ist schwer zu singen und geht so: „Es ist nicht alles exhibitorisches Gold, was politisch glänzt." Das muß recht hart gespielt werden. Denn wir haben es hier mit einer Art Protestsong zu tun, der einerseits die Form der Ausstellung und die der Exponate anprangert, andererseits jedoch die zugrundeliegenden Absichten gänzlich gutheißt.

Man sieht: Der Autor gibt sich Mühe. Mit dem schwierigen Refrain und der Verwendung von „einerseits" und „andererseits" hat er ja gerade elegant die Kurve der eingeforderten Komplexität gekriegt. Da derartige Forderungen nunmehr aber zweifellos als vollauf erfüllt gelten können, ist es an der Zeit, die Maultrommel hervorzuholen und kritisch in die Tasten zu dreschen! Wie gesagt, der Song muß recht hart gespielt werden.

MOV!NG ON beschäftigt sich nach eigener Auskunft „in Ausstellung, Filmreihe und Publikation mit Strategien der Grenzüberschreitungen, Grenzverschiebungen, dem Sichtbarmachen von Grenzen, deren Abschaffung oder Mißachtung in künstlerischen und politischen Praktiken und Positionen". Was man sieht, wenn man die NGBK betritt, ist in der Tat stark grenzwertig. Eine Ansammlung visueller Gruseligkeiten. Man blickt auf eine Vielzahl ziemlich unmotiviert angeordneter Monitore, die gekrönt sind von dem wandgroßen „Organigramm", mit dem Refugees Emancipation doch eher ungewollt die Grenzen des ästhetisch Erträglichen überschreitet. Der politische Geist mahnt zum Bleiben, das kunstsinnige Auge drängt, Reißaus zu nehmen. Es ist ernst und der Kuchen im gegenüberliegenden „Bierhimmel" hervorragend. Ein echter Konflikt. Es ist wirklich ernst, ihr versteht?

Aber da man sich nicht „verfressener Ästhetizist mit unterkomplexem politischem Bewußtsein" schimpfen lassen will, bleibt man schließlich doch da. Mit der Geduld antirassistischer Solidarität stülpt man sich nach und nach immer neue, aber gleichbleibend schlecht sitzende Kopfhörer über. Man versenkt sich in den Exponaten des sogenannten „Sound Space" (von Studio B11, Ultra-Red u.a.) und starrt auf Monitore oder Videobeams (von Eben Mancho, Spacecampaign, Candice Breitz u.a.). Die Qualität der Filme treibt einem nicht gerade Tränen der Begeisterung, sondern zuweilen eher die Schamesröte ins Gesicht. Betroffen steht man vor so viel guter Absicht und so viel einschläfernder Präsentation. Das gilt sowohl für diejenigen Videos, die in erster Linie selbst als Kunstobjekte intendiert sein mögen, als auch für diejenigen, deren Funktion augenscheinlich darin besteht, stattgefundene Aktionen politischer und künstlerischer Art zu dokumentieren. Einzig die beiden ausgestellten Fotografien von Julika Rudelius vermögen es, durch ihr hohes Niveau zu beeindrucken und die Sehnsucht nach Kuchen im Bierhimmel vergessen zu machen. Nachdem man sich als antirassistische Kuchentante durch diesen Wust aus gutgemeinten Versuchen zum Thema „Grenze" durchgeschlagen hat, bleibt man ratlos zurück und fragt sich, was man dem geneigten Leser eigentlich Positives über diese kuratorische Katastrophe mitteilen könnte. Die Antwort des hart gespielten Songs lautet: Nichts, aber sollte Julika Rudelius mal eine Einzelausstellung machen, so gehe hin!

Sobald man dann allerdings erschöpft seinen Milchkaffee in dem nun schon zweimal erwähnten Etablissement schlürft, das in einer Ausstellungskritik eigentlich gar nichts zu suchen hat, wird man nachdenklich. Und während man verliebt seine bezaubernde Begleitung dabei beobachtet, wie sie sich wild entschlossen über ihre Torte hermacht, wird man milde. Diese Ausstellungskritik darf nicht so böse enden, wie die Welt vielleicht gar nicht ist. Zum Abschluß also das Positive: Die an MOV!NG ON mit Beiträgen beteiligten Organisationen und Personen leisten natürlich ungemein wichtige politische Arbeit und die Sache, der sie sich verschrieben haben, ist angesichts der repressiven Migrationspolitik der EU-Regierungen durch und durch unterstützenswert. Und wer weiß, vielleicht sind ja die kommenden Filmabende im Hof der NGBK ersprießlicher als die Ausstellung. Man könnte sich freuen, wenn es so wäre – gerade des Themas wegen.

Thomas Hoffmann

* „MOV!NG ON. Handlungen an Grenzen – Strategien zum antirassistischen Handeln", noch bis zum 11. September in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst, Oranienstraße 25, Kreuzberg, geöffnet täglich von 12 bis 18.30 Uhr

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
Ausgabe 7 - 2005 © scheinschlag 2005