Ausgabe 7 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

„Wo ist euer Hirn, wo ist euer Herz?"

Auf Knast-Safari: Wie ein Remixer die verwahrte Jugend zum guten Ton bittet

Willkommen in der beliebten Ecke mit dunklen Themen: Es war einmal, da schenkte Johnny Cash den Gefangenen von Folsom Prison und San Quentin einige eigens für sie komponierte Songs, trug sie vor Ort vor und machte eine Platte draus. Sich selbst – und der Welt – schenkte er damit einige seiner besten Songs. Als Elvis im Film Jailhouse-Rock sang, klang das nicht gerade nach einer seiner Sternstunden. Selbst deutschsprachige Schlager machten vor ordnungspolitischen Schunkeleien, mit Schuld- und Bestrafungsthemen, nicht halt. Beweise wie „Verwahrlost aber frei" von Wolfgang Ambros liegen vor. Popmusik und Knast gingen stets in einer symbiotischen Mythenwelt auf. Aufstand, Flucht oder Befreiung sind pop-immanente Metaphern.

Pop sprengt die Ketten ­ ja genau! Dieses Moment versteht man heute wie damals, Aufruhrstimmung im pendelnden Rhythmus. Reizworte braucht es in reaktionären Zeiten. Ein Song wie „Versammelt Euch!" dürfte ausreichen, ganze Innenbehörden außer Rand und Band geraten zu lassen. Las ich gar soeben (in der Herold Tribune), Hip-Hop hüpfe nun auch nach rechts ­ zumindest zusammen mit rechtsradikaler Musik auf den deutschen Index?! Nein rechts ist das nicht, was neuerdings Rapper wie Bushido machen. Frauenfeindlichkeit und Sexismus locken, laut HT, aber auch Rechte in die Konzerte. Die bösen Kleinen und die guten Kleinen verbindet keine Aufruhr-Ästhetik, sondern das Defätistisch-Fundamentale. Keine deutschen, schlauen (!) Public Enemy in Sicht, bisher. Na gut, Jan Delay, okay.

Und was haben die echten Knast-Rapper so drauf? Zum Beispiel nennen ein paar von ihnen ihre neue CD elegisch Release. Das hätte ich mir nicht vorgestellt. Ist das nicht ein Gospel-Titel von Aretha Franklin, ein smartes Album von den Pet Shop Boys, ein Bob Dylan-Zitat? Nein, nein, darauf ist u.a. MV (Märkisches-Viertel)-Egon zu hören, mit: „Meine Lügen sind auch gemein. Ohne zu zögern dringen sie in deine Gedanken ein." Die Lyrics erklimmen fast Wahlkampfniveau, wenn Julia (Hummer), die Gastsängerin und Texterin, kontert, zum Beat säuselt: „Lügen haben kurze Beine, hey Klein-Egon, check mal deine. Du rappst wie im Teufelswahn, deine Lügen komm´ bei mir nicht an." Uuhh, denke ich und sympathisiere sofort mit Egon, der daraufhin aber ­ wie ich finde zu schnell ­ resignierend beisteuert: „Die ganze Generation heutzutage ist mit Lügen aufgebaut."

Daß Rabo die Wahrheit im Knast gefunden haben will, läßt mich, als skeptischen Sozialrocker, nüchtern bleiben. Er singt: „Sie (die Wahrheit) hat mich aus der Dunkelheit befreit und mir eine Lektion erteilt. Jetzt bin ich bereit für jeden Fight." Sabrina aus dem Mädchenknast singt auch noch mit. Ihr Part kühlt das widersprüchliche Geräppe endlich auf minus 30 Grad, und um das (über-)zubetonen erhält ihre Stimme noch diesen Grönland-Eis-Effekt zugemischt: „Wo ist euer Hirn, wo ist euer Herz, ihr müßt euch beeilen, bevor es erfriert, im Sturm von Haß, Neid und Schmerz." Das bewegt dann auch mich. Das sind biblische Zeilen, wie sie Bob Marley nicht besser hätte finden können.

Wie es dazu kam: Der Musiker Schneider TM (in der deutschen Indierock-Geschichte schaffte er mit Locust Fudge oder den Hip Young Things richtig wichtige Werke, zuletzt einige bemühte eklekt-elektronische Solo-Alben) erhielt Kunde vom möglichen Auftrag, für ein Radio-Hörspiel mit jugendlichen Straftätern einen Song zu erarbeiten und sagte sogleich zu, weil er meinte, das einfach machen zu müssen. Zuvor hatte es eineinhalb Jahre gedauert, ohne daß eine Koryphäe des musischen Fachs zu finden gewesen wäre. Das Ergebnis liegt nach einer Erstsendung des „Doku-Hörstücks" im WDR (Radio-1Live) nun auch auf Doppel-CD vor. Wobei die erste CD das Hörspiel, die zweite CD die Videos, einige Hörspiel-Out-Takes sowie die fertigen Songs präsentiert. Obwohl Schneider TM zwischen den Sessions in den Gefängnissen JVA-Tegel, Jugendstrafanstalt Berlin-Plötzensee und JVA Lichtenberg auch mal kurz zum Gig nach Japan fuhr und lediglich eine Handvoll Jugendliche beim Projekt mitmachten, kam dennoch ein interessantes Ergebnis dabei heraus. Die Videos von Niklas Goldbach sind für mich aber die eigentliche Essenz dieser nicht- zu-didaktisch-sein-wollenden Knast-Safari. Sie sind schlicht und treffend, drängen sich nicht auf. Form und Musik ergänzen sich subtil, das heißt: Es bleibt jeweils viel Raum. Das Gute ist, ihr könnt die Videos beim Label legal runterladen (www. lieblingslied-records.de). Ich grüße die teils schon wieder freien Musikerinnen und die in den Strafkabinen. Und: Ich finde Eye of the Tiger (kommt als Kapitel im Hörspiel vor) schon deshalb toll, weil die Struktur quasi aus diesem Beach Boys-Song „Here Today" (Position 1:49 bis 2:04) stammt. Zieht Euch den mal rein.

Jörg Gruneberg

* „Release. Songs-Videos-Hörspiel", Lieblingslied Records, 2 CDs, 16,90 Euro

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