Ausgabe 7 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

musik für die massen

Unterschiede

Nein, beim besten Willen nicht – diese drei Scheiben sind einfach nicht unter einen Hut zu kriegen. Da sie aber richtig gut sind, werden sie trotzdem zusammen vorgestellt.

„Oh my God, it's techno music!" ­ mit dieser leicht panischen Aussage beginnt das Stück „Knartz 4" auf der neuen Veröffentlichung von Egoexpress. Panik ist natürlich eine gänzlich unangebrachte Reaktion, denn in den gelungenen Momenten wirkt Hot Wire My Heart (Ladomat) wie ein frischer Windzug auf der verqualmten Tanzfläche. Mit Lust am Trash und schmutzigen Housebeats wuppen die beiden Hamburger die vermeintliche Krise der elektronischen Musik einfach weg. Vielleicht liegt es daran, daß Egoexpress diesmal ganz auf Samples verzichtet haben, so klingen die meisten Tracks frisch und unverbraucht. Doch als ob den beiden der Durchzug selbst ein bißchen zu frisch geworden wäre, bremsen sie sich zwischendurch mit feinstofflicher Kleinteiligkeit und dünnen Beats ein wenig aus.

Kompromißlos dagegen der Black Rebel Motorcycle Club. Klangen sie auf ihrem Vorgängeralbum noch ein wenig nach Brit-Pop, so machen sie mit Howl (Pias) eine Rolle rückwärts. Dabei zeigen sie sich von angesagten Retrowellen in Sachen Punkrock gänzlich unbeeindruckt, springen noch ein gutes Stück weiter zurück und landen bei Blues, Folk und Country. Keine schmutzigen Gitarren mehr und auch keine Keyboards, so klingt der Motorcycle Club durch und durch nach amerikanischer Roots-Musik. Trifft sicherlich nicht jeden Geschmack, und Howl dürfte damit viele Erwartungen enttäuschen, aber für eine Band, die sich nach eigener Aussage in einer Schaffenskrise befand, ist das ein recht eleganter Weg für einen Neubeginn.

In Frankreich hat Camille mit ihrer zweite Soloveröffentlichung Le Fil (Labels) bereits den Goldstatus erreicht. Hier ist Camille durch das Projekt Nouvelle Vague recht bekannt. Um so erstaunlicher ist der Erfolg von Le Fil, denn das Album entzieht sich weitgehend jeder Zuordnung. Minimalistische A-capella-Human-Beat-Box-Stücke wechseln mit collageartigen Gesangseinlagen ab ­ und das alles vor einer sehr reduzierten Instrumentierung. War ihre erste Solo-Veröffentlichung noch stark an den Chansons der dreißiger und vierziger Jahre orientiert, durchzieht ihre aktuellen Kompositionen eine große Bandbreite unterschiedlicher Einflüsse: Gospel, Soul und Anklänge von afrikanischer Musik finden sich auf Le Fil. Ähnlich vielschichtig ist dabei ihre Stimme: mal kindlich naiv, mal harmonisch und schließlich auch aggressiv-fordernd. Beim letzten Stück schwindet ihre Stimme ins Nichts. Zwar dauert das Stück 40 Minuten, allerdings endet ihr Gesang schon nach vier Minuten. Was bleibt, ist ein einziger, leicht modulierender Ton, der sich wie ein hauchdünner Faden (le fil) eine halbe Stunde durch den Gehörgang zieht.

Marcus Peter

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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