Ausgabe 7 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Wo Bahnfahren Spaß macht

Ein Vergleich von BVG und öffentlichem Nahverkehr in Wien

Der erste Gang nach der Ankunft in einer neuen Stadt führt – sofern man sich kein Taxi leisten kann – zu einem Fahrkartenautomaten der öffentlichen Verkehrsmittel. Meist macht dieser Gang schlechte Laune – nicht nur, weil man das Navigationssystem der Maschine nicht versteht, sondern auch wegen der offerierten Fahrkarten. Nicht so in Wien: Dort gibt es für jede nur denkbare Aufenthaltsdauer Angebote. Eine 8-Tage-Karte für 24 Euro, eine 72-Stundenkarte für 12 Euro oder eine 24-Stundenkarte zum Preis von 5 Euro. Immerhin, eine Tageskarte hat Berlin auch zu bieten, für 5,80 Euro im Tarifbereich AB. Allerdings gilt diese mitnichten für 24 Stunden, wie ihr Name nahelegt und was das Wiener Pendant tatsächlich einlöst, sondern lediglich bis 3 Uhr nachts. Im ungünstigsten Fall eines Kaufes um 23.59 Uhr kann man sich also gerade mal drei Stunden und eine Minute dieses Tickets bedienen.

Ein Vergleich des Berliner und des Wiener Verkehrsnetzes scheint zunächst ebenso absurd wie der vielbemühte von Äpfeln und Birnen. Dem ist jedoch gar nicht so, wenn man bedenkt, daß Wiener Linien und BVG die gleichen Verkehrsmittel in ähnlicher Anzahl bewirtschaften, nämlich U-Bahnlinien (in Berlin insgesamt 9, in Wien 5), Straßenbahnen (Berlin 21, Wien 32) und Busse (Berlin 150, Wien 81). Stellt man dann noch dem gesamten Wiener Verkehrsnetz mit einer Länge von etwa 1000 Kilometern lediglich den Berliner AB-Tarifbereich mit schätzungsweise 400 km mehr gegenüber, dann paßt der Vergleich allemal.

Während sich die Berliner an Fahrpreiserhöhungen im Jahresrhythmus gewöhnt haben und soeben, zum 1. August, wieder einer solchen teilhaftig wurden, liegt die letzte Tariferhöhung in Wien über drei Jahre zurück. So sind die Wiener gewöhnt, gerade mal 1,50 Euro für einen Einzelfahrschein zu zahlen, während wir uns fragen, wie lange der soeben angehobene Preis von 2,10 Euro halten wird. Man erinnere sich: Erst im vergangenen Jahr wurde uns die „Senkung" des Fahrpreises für ein AB-Ticket auf 2 Euro, mit der kleinen Einschränkung „hin ja, zurück nein" als superattraktives Sonderangebot angepriesen.

Wirklich übel wird dem Berliner BVG-Benutzer beim Vergleich von Berliner und Wiener Angeboten für Zeitkarten bzw. Karten für besondere Personengruppen. Schülertickets kosten in Wien 19,60 Euro ­ wenn der Schüler durch Bezug der sogenannten Familienbeihilfe nicht gar frei fährt ­, während die Berliner 26 Euro berappen müssen. Unser Sozialticket, das inzwischen mit 33,50 Euro zu Buche schlägt und für keinen ehrlichen ALG II-Empfänger mehr erschwinglich ist, ist vergleichbar mit einem nicht einmal halb so teuren Monatsfahrschein für Wiener Sozialpaßinhaber zum Preis von 15,20 Euro. Ergänzt werden diese Monatskarten für Kinder und Sozialschwache um Streifenkarten für vier Fahrten, bei der eine Fahrt unglaubliche 75 Cent kostet. Aber auch der Normalverdiener fährt in Wien günstiger: Monats- und Jahreskarte, in Berlin für 67 bzw. 670 Euro zu haben, sind in Wien mit 45 bzw. 417 Euro um mehr als ein Drittel billiger.

In Berlin ist es eine Strafe, wenn man auch noch sein Fahrrad bahnfahren lassen muß. Zusätzliche 1,40 Euro kostet der Spaß, vorausgesetzt man findet den richtigen Schalter am Automaten und löst nicht aus Versehen die hier suggerierten 2,60 Euro. In Wien zahlt man im gesamten Streckennetz fahrradfreundliche 80 Cent.

Die Wiener Linien sind nicht nur halb so teuer, sondern auch doppelt so schön. Nicht nur weil man ­ in Berlin unmöglich ­ durch unzerkratzte und grafittifreie Scheiben tatsächlich rausschauen kann, vor allem aber wegen der villenähnlichen Bahnhofsgebäude im Jugendstil, erbaut von Otto Wagner. Wer sich selbst überzeugen will: Mit der Ersparnis von 22 Euro beim Kauf einer Wiener Monatskarte, kann man fast nach Wien fliegen. Und erst mal angekommen, spart man beim Bahnfahren.

Vera Kühn

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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