Ausgabe 7 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

ditte & menschenkind:

Picassos Banane

Hingegeben mümmelt Menschenkind Ludmillas Banane. Die Gedanken sind frei. Sein Kumpel Hitchcock sieht aus wie Picasso, der wie Hitchcock aussieht. Irgendwie geht er ihm mit seinen ständigen Fragen auf die Ketten. Was ist nun mit Ludmilla und so? Warum ist die Banane krumm?

Gewiß, denkt Menschenkind, Goethe würde wohl anders denken. Es war getan fast eh gedacht, würde er denken. Aber ich habe mich in der Gewalt trotz Ludmillas lieblicher Gestalt und Hitchcocks lästerlichen Redensarten. Bigamist, pah! Das ihm, der Treue selbst ...

Immerhin, Ditte müßte wohl bald kommen, denkt er versonnen in seiner schattigen Wohneinheit, um ihn in Gottes schöne Welt mitzunehmen, und schon schellt die Klingel ­ oder klingelt die Schelle? Sein Mitbewohner Hitchcock öffnet. Menschenkind hört Flüstern und spitze Schreie. Vehement wird die Tür aufgestoßen.

„Du alter Schwerenöter, du notorischer Bananenfresser!"

Nicht einmal ein Küßchen hier, ein Küßchen da ... Hat er vergessen, laut ihre Schönheit zu preisen, und nun weiß sie gar nicht, wie verknallt er ist? Und in wen? Sicher, sicher; er ist der Verknallte mit gebrochenem Sprunggelenk. Aber er sagt es nicht.

Hört, was er sagte, aber nicht dachte: „In einem geschützten Glashaus kann man zu jeder Jahreszeit Gemüse ernten." Menschenkind wirft die Bananenschale klammheimlich zum Fenster hinaus.

„Ein geschütztes Glashaus, das wär's! Fest verankert im Nachhaltigkeitsprozeß der globalen Erkältung! Stetiges Wachstum fördern!"

Ditte prüft Menschenkinds Temperatur. So, wie sie ihm an die Stirn faßt, schöpft der Angegriffene wieder Hoffnung und schwadroniert weiter.

„Vorbehaltlich der distalen Fraktur meiner Tibia!" Ditte enteilt in die Küche und kommt mit Kühlgel zurück.

„Ditte, wozu? Wir wollen doch ausfahren!" Menschenkind wirft die Decke von seinen Beinen, besonders vom geschundenen Linken. Aber Ditte legt ihm das Kühlgel auf die Stirn.

„Ich will das Übergreifen der Vogelgrippe verhindern!" Menschenkind kichert.

„Das kann man nur durch Einführung der Meldepflicht für Hühner. Eine neue Herausforderung für unseren Cäsar Schily!"

Ach, warum zieht sie weiterhin so ein Gesicht, obwohl er schon wieder die besten Einfälle hat. Seit seinem Sturz. Stand doch direkt an der Straßenbahnhaltestelle, wie Ludmilla sagen würde, mitten auf der Kastanienallee, so ein niedlicher Vogelkäfig mit zwei Kanarienvögelein, die sangen so schön, daß sich Menschenkind gar nicht von ihnen losreißen konnte, auch nicht von der schönen Frau daneben. Dann kam die Straßenbahn, ein unkontrollierter Schritt, und er hatte sich nicht nur in dem Gestänge des Vogelkäfigs verfangen, sondern auch noch das Sprunggelenk, seine Tibia, wie er nun weiß, gebrochen. Die gute Frau rief den Krankenwagen. Seitdem kümmert sie sich um ihn, seine Kanarien- Papagena. Ob Ditte diese neue Interessengemeinschaft beargwöhnt? Sollte sie sogar eventuell ohne Sinn und Verstand und vor allem ohne triftigen Grund eifersüchtig sein?

„Wir müssen die Berührung mit Zugvögeln aus Rußland meiden!" Da, diese Anspielung. Er ist nicht auf dem Holzweg. Sie nimmt ihm seine Ludmilla übel. Ach, du lieber Gott, sie wird ihr gar begegnet sein, war doch Ludmilla eben noch bei ihm, Piroggen vorbeibringen. Ditte ahnt wohl, daß Schicksalsgemeinschaften in die Nähe von Leidenschaften geraten können. Gut, stellt er sich weiter fiebernd.

„Im Kompetenzzentrum des Kapitals erlöschen die Ölfunzeln. Na und? Im übrigen plädiere ich dafür, dir jetzt einen Kuß schenken zu dürfen."

„Stop mal, stop mal, nicht so schnell!" Ditte windet sich pantomimisch aus seinen ausgestreckten, aber nicht hinreichenden Armen.

„Was wollte schon wieder Ludmilla von dir? He?" Sie stupst ihn in seine bloße Seite.

„Sie hat mir Piroggen gebracht, dir und mir. Und diese Banane. Picassos Banane, hat sie gesagt, vom Krümmungsgrad der Banane und der Lautstärke von Rasenmähern und von so was hat sie gesprochen. In Rätseln sozusagen. Sie arbeitet beim Goetheinstitut." Alles wird gut.

Brigitte Struzyk/Dieter Kerschek

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