Ausgabe 7 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Eine für Alle

Die Linkspartei als Projektionsfläche

Am Kottbusser Damm hängen die Wahlplakate dicht an dicht. Merkel, Schröder, die politischen Lokalmatadoren und natürlich auch die Linkspartei – in Berlin mit Punkt und PDS-Zusatz. Die umbenannten Sozialisten werben hier an der Grenze zwischen Kreuzberg und Neukölln damit, 100 Prozent Ost zu sein. Als ob das im Westen ein Verkaufsargument wäre. Irgendwer hat sich einen Spaß gemacht und auf eine Linkspartei-Werbung die Kopie eines CSU-Plakats aus den fünfziger Jahren geklebt. Konrad Adenauer warnt vor dem Kommunismus. Einen seiner „Enkel" dürfte das sicher freuen. Edmund Stoiber, CSU-Ministerpräsident von Bayern und Ossi-Beschimpfer vom Dienst. Schließlich ist es gleich, mit welchen Argumenten die „dummen Kälber" davon abgehalten werden, darüber zu bestimmen, wer Kanzler wird.

Gar nicht gefreut über Stoibers Einlassungen hat man sich bei der Linkspartei. Zumindest öffentlich: vor allem im Osten, wo die Sozialisten nicht in erster Linie politische, sondern vor allem biographische Bindungskräfte freisetzen. Die Empörung über den Bayern ist dabei so etwas wie der ins Politische verlängerte Groll gegen die „Wessis", die ja schon immer alles besser wußten und „uns" seit 1990 ach so oft beschissen haben. Daß man von Stoiber und dem brandenburgischen Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) kurzfristig durchaus profitieren kann, weiß man im Berliner Karl-Liebknecht-Haus natürlich auch. Doch es soll nicht so aussehen, als würde der Wiedereinzug einer um ein paar tausend West-Gewerkschafter erweiterten PDS in den Bundestag allein das Resultat einer modifizierten Rote-Socken-Kampagne sein. Es geht um mehr, um nichts Geringeres als die „Neuformierung der demokratischen Linken", wie es aus Linkspartei und Wahlalternative seit Wochen tönt.

Illustration: Katharina Greve

Das ist das Praktische an der Linkspartei: Egal, von welchem Standpunkt aus man jenes noch fragile Bündnis betrachtet ­ irgendwie paßt das eigene Urteil immer genau ins scheinbar so objektive Bild. Als Projektionsfläche für ganz unterschiedliche politische Vorstellungen ist die Linkspartei heute entweder modern oder rückwärtsgewandt, Gegner oder Freund, populistisch oder Partei für den Alltag, zu links oder zu zahm, Startschuß für eine veränderte Parteienlandschaft oder politische Eintagsfliege. Die Linkspartei hat einen abgekürzten Wahlkampf interessant gemacht und ist Stoff für Debatten, von denen man schon gar nicht mehr glauben wollte, daß sie irgendwen interessieren. Die Linkspartei funktioniert dabei ein bißchen wie die Musketiere: Sie ist auf ihre Weise eine für alle.

In Berlin sieht man dem Bündnis aus Wahlalternative und Sozialisten das Patchwork der unterschiedlichsten Beweggründe noch am ehesten an. Im Reich des rot-roten Senats war in den letzten Wochen nur selten von einer „historischen Chance" die Rede. Der verbale Schlagabtausch zwischen „Gurkentruppe" und „Sozialkahlschlägern" wurde allenfalls aus pragmatischen Gründen auf leise gestellt. Der Streit um die Regierungsbeteiligung der hauptstädtischen PDS ist aber nicht nur regionaler Knackpunkt bei den Verhandlungen für ein Wahlbündnis. In den Debatten der letzten Monate zeigte sich, wie weit entfernt voneinander die Gründe dafür liegen können, sich parteipolitisch links von der SPD zu engagieren.

Für eine Mehrheit der radikalen Linken scheint sich diese Frage gar nicht erst zu stellen. In der Szene wird der Partei durchaus begründet die Berechtigung abgesprochen, sich als Sachwalterin der „Linken" zu gerieren ­ wie es die Partei mit dem auch im Wahlkampf benutzten Label „Die Linke" versucht. Ob Kritik am sozialdemokratischen Arbeitsbegriff und einer gar nicht emanzipatorischen Wohlfahrtsstaats-Ideologie oder am „rechten Sozialdemokraten" Oskar Lafontaine und dessen in allerlei politische Richtungen offenen Suche nach Zustimmung ­ vom auch in Teilen der radikalen Linken anfangs zu spürenden Interesse an dem neuen Bündnisprojekt ist nur noch wenig übriggeblieben. Wer nicht versucht, mit offenen Briefen Einfluß zu nehmen, grenzt sich lautstark ab. Und im Lager der Globalisierungskritiker malt man sich ­ in Erinnerung an die sechziger Jahre ­ schon mal den eigenen Aufschwung aus.

Die SPD dagegen, als Verursacherin der Agenda-Reformen und als direkter Stimmen-Kontrahent die eigentliche Gegnerin der Linkspartei, scheint am Ende. Kopfschüttelnd fragt man sich, ob es sich um Selbstbetrug, Sarkasmus oder Selbstironie handelt, wenn der Sieben-Jahre-Kanzler Gerhard Schröder auf Plakaten verkündet: „Wer Gerechtigkeit will, muß das Soziale sichern." Daran zu glauben, daß dies ausgerechnet die SPD zu leisten imstande sein könnte, braucht als Voraussetzung eine ordentliche Portion Vergeßlichkeit. Oder aber die Angst vor der schwarz-gelben Alternative. Von der ist zu erwarten, daß sie, von keinem Bundesrat gefesselt, die Reformschraube noch ein Stück weiter dreht als es Rot-Grün in den letzten Jahren ohnehin getan hat.

Bliebe als zumindest rechnerisch mögliche Variante die Duldung einer rot-grünen Koalition durch die Linkspartei. Das will zwar zu diesem Zeitpunkt niemand öffentlich sagen. Wohl auch, weil an diese Lösung schon vor drei Jahren gedacht wurde ­ zumindest bei der PDS. Die Sozialisten brachte es damals bis an den Rand der bundespolitischen Existenz, in einem Lagerwahlkampf mit der Funktion der duldenden Mehrheitsbeschafferin zu liebäugeln. Die PDS flog bis auf zwei Abgeordnete aus dem Parlament, weil man doch lieber gleich das Original wählte. Die, die 2002 noch darauf hofften, daß der versprochene Politikwechsel unter rot-grüner Ägide doch noch stattfindet, werden 2005 ihre Kreuz jedoch an einer anderen Stelle machen, die Linkspartei wird davon profitieren. Ob dann am Wahlabend noch immer gilt, was heute für unverrückbar erklärt wird, bleibt abzuwarten. Berlins Klaus Wowereit hält eine Zusammenarbeit zwischen Linkspartei und SPD im Bund für denkbar ­ allerdings erst 2009. Noch wird er in seiner Partei dafür angefeindet. Daß Rot-Rot-Grün dennoch eine Alternative sein wird, weiß nicht nur der Regierende Bürgermeister. Und so werden auch die Sozialdemokraten irgendwann erkennen: Die Linkspartei ist eine für alle.

Tom Strohschneider/Lorenz Matzat

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