Ausgabe 6 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Berlin 1905

30. Juni bis 31. August

Vor den Augen seines Kindes stürzt sich der 48 Jahre alte Schlächter Franz Wahn aus der Zorndorfer Straße 3 aus dem Fenster. Seine zehnjährige Tochter spielt mit den anderen Kindern auf dem Bürgersteig vor dem Haus. 20.30 Uhr öffnet er das Fenster des Erkerzimmers seiner im dritten Stock gelegenen Wohnung und ruft ihr zu: „Trudchen, komm herauf!" Dabei lehnt er sich zu weit hinaus, verliert das Gleichgewicht und stürzt in dem Augenblick, als das Kind zu ihm aufblickt, auf den Bürgersteig hinab, schlägt mit dem Kopf auf die Bordschwelle auf und bleibt besinnungslos liegen. Drei Männer tragen den Verunglückten in seine Wohnung hinauf, wo er nach wenigen Minuten unter den Händen eines Arztes verstirbt.

Ein Skelettfund wird bei Ausschachtungsarbeiten im Dorf Letschin im Kreis Teltow gemacht und deutet auf einen vor 50 Jahren verübten Raubmord hin. Die Knochen lagern etwa anderthalb Meter tief im Erdboden. Der Fund wird mit dem Verschwinden eines Viehhändlers in Verbindung gebracht, der 1856 in einem Gasthof in Letschin übernachtet hatte und eine größere Geldsumme bei sich führte. Am folgenden Tag war er verschwunden, während sein Fuhrwerk in dem benachbarten Groß-Neuendorf angehalten wurde. Man nahm schon damals an, daß der Vermißte auf seinem Wagen überfallen, ermordet und vergraben worden sei.

Zum derzeit grassierenden Milchkriege schreibt die Zentrale für Milchverwertung: „Von Seiten des Berliner Milchhändlerverbandes wird berichtet, daß im September 1902 die Milchzentrale pasteurisierte Milch verkauft habe und daß die der Milchzentrale angeschlossenen größeren Molkereien heute noch pasteurisierte Milch liefern. Demgegenüber stellen wir fest, daß alle der Milchzentrale angeschlossenen größeren Molkereien die für Berlin bestimmte Vollmilch frisch liefern und nicht pasteurisieren und daß die Milchzentrale seit Ende 1902 nur frische, nicht pasteurisierte Vollmilch, gut gekühlt, zum Verkauf bringt. Die Milchzentrale hat ein Jahr lang bis Ende 1902 pasteurisierte Kindermilch und Vollmilch verkauft. Das war damals zweifellos richtig, denn damals war der Streit zwischen Koch und seinen Gegnern wegen der Identität des Menschen- und Rinder-Tuberkelbazillus noch nicht entschieden. Alle Welt glaubte damals, daß der Tuberkelbazillen wegen die Milch pasteurisiert werden müsse. Als die Wissenschaft hierüber andere Anschauungen gewonnen hatte, hat die Milchzentrale vom Jahre 1903 an nur frische, nicht pasteurisierte Vollmilch in Berlin verkauft. Doch darauf kommt es gar nicht an; denn es handelt sich in erster Linie darum, daß die dänische, pasteurisierte Milch dem Publikum heute unter Verschweigung dieses Umstandes als frische Milch verkauft wird, während die Milchzentrale im Jahre 1902 in ihren Inseraten ihre Verkaufsmilch stets als pasteurisierte Milch bezeichnet, also dem Publikum als solche deklariert hat."

Bisher glaubte man, die teuerste Ecke Berlins sei das den Fonrobertschen Erben gehörige Haus in der Leipziger Straße 103, Ecke Friedrichstraße. Die Quadratrute wurde auf 70000 Mark geschätzt. Es gibt aber noch eine ganze Reihe anderer teurer Ecken. So wird für das Grundstück Jerusalemer Straße 14, das 61/2 Quadratruten groß ist, 750000 Mark verlangt, mithin kostet die Quadratrute über 120000 Mark. Eine dritte teure Ecke ist das Haus Leipziger Straße 113 an der Mauerstraße. Dieses Grundstück umfaßt 18 Quadratruten, für die Quadratrute wurden 1904 über 63000 Mark geboten, also für das ganze Grundstücke 1150000 Mark. Der Besitzer hat das Haus aber nicht verkauft, sondern wartet noch ein höheres Gebot ab. Wie enorm die Steigerung der Grundstückspreise in der Leipziger Straße seit einigen Jahren geworden, ist auch daraus zu schließen, daß Ende der achtziger Jahre für das Grundstück, auf dem heute der Equitable-Palast steht, etwas über drei Millionen Mark gezahlt wurden, das ist bei einer Fläche von 153 Quadratruten ungefähr 20000 Mark für die Quadratrute. Eine Rute hat 12 Fuß oder 376,624 Zentimeter.

Falko Hennig

* Am 13. Juli um 21 Uhr lädt Falko Hennig zu Radio Hochsee mit dem Thema Harald Juhnke, Gast-Experte ist Joachim Brunken (Schulkamerad Juhnkes aus Wedding) ins Kaffee Burger, Torstraße 60, Mitte. Weiteres unter www.Falko-Hennig.de

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