Ausgabe 6 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Offenbarung in der Rumpelkammer

Über abseitige Sammlungen und periphere Museen in Berlin

Über 175 gibt's. Und die meisten sind entsetzlich dröge: die Sammlungen der Stadt Berlin, repräsentativ, konservatorisch hübsch eingemottet, von professionellen Gutachtern sanktioniert, abgeschlossen – Pergamonmuseum, Alte Nationalgalerie, Altes Museum. Heilige, stinklangweilige Hallen. Erfreulich hingegen die kleinen Museen, deren Bestehen häufig nur der Liebhaberei eines einzelnen Sammlers zu verdanken ist, manchmal kaum mehr als schlecht aufgeräumte Rumpelkammern mit unprofessionell etikettierten, furios durcheinandergewürfelten Ausstellungsstücken. Da wird alles präsentiert, was mal eben so zu finden war – in dieser immer unvollständigen Anhäufung des scheinbar Unvereinbaren, Unmöglichen und Kuriosen den Heimatmuseen von Kleinstdörfern ähnlich.

Ich erinnere mich an einen Besuch im Heimatmuseum von Hiddensee Anfang der neunziger Jahre; die albernen ausgestopften Vögel, der dämliche Kutter und das ganze maritime Brimborium interessierten mich wenig, aber da gab es das dünne Büchlein eines Hiddenseer Pastors mit Heide-Gedichten und den ergreifenden Bericht über das Grüppchen von 30 aufständischen Inselbewohnern, die sich zu Zeiten der Wende in der Kirche trafen, um staatsumstürzlerische Forderungen zu stellen. Eine wirkliche Offenbarung, Zeugnisse, die mir mehr über den Ort meines Aufenthalts sagten als all der andere Plunder.

Diese Museen stellen das Gewöhnliche zum Ungewöhnlichen, das offensichtlich Wichtige zum Unwichtigen. Und der Betrachter findet ein Vergnügen daran, wie ein Kind auf Großvaters zugemülltem Dachboden Entdeckungen zu machen, Entdeckungen nur für sich selbst, ohne daß jemand anderes vorher über den Wert der Fundsache bestimmt bzw. auch nur bestimmen kann.

In Berlin gibt es einige solcher Häuser der wilden Sammelwut. Das Friseurmuseum in Alt-Marzahn etwa präsentiert in seiner Sammlung alle Facetten des Friseurberufs, und es berichtet auch über die weitergehende Bestimmung des Onduleurs als Zahnarzt, Hygieneverwalter und Knochenbruchwerker: Da sind dann also zu sehen Hecheln, Klistierspritzen, Aderlaßmesser, Lockenhölzer und andere schreckerregende Werkzeuge zur Malträtierung des Delinquenten auf dem Barbierstuhl. Das Weddinger Zuckermuseum stellt die Zuckerrübe als die Königin der Feldfrüchte vor und zeigt u.a. einen eindrucksvollen, stark kariösen Backenzahn von einem offensichtlich mit Süßigkeiten überfütterten Schwertwal. Und im Tegeler Feuerwehrmuseum werden, so heißt es, mit den Kindern nicht nur altertümliche Löschfahrzeuge bewundert, sondern gelegentlich sogar Feuerwehrlieder gesungen.

Das Museum der Dinge, in seinen Ausstellungen den sonderbaren Alltagsutensilien des 20. Jahrhunderts verpflichtet und bisher ein nomadisches Dasein führend, ist jetzt in der Oranienstraße in Kreuzberg ansässig geworden und zeigte kürzlich eine fabelhafte Schau von Picknickkoffern. Man sollte es nicht verwechseln mit dem Museum der Unerhörten Dinge, das vorführt, was ein Ausstellungsobjekt bestenfalls erst im Besucher hervorruft: das Fabulieren über einen scheinbar nichtssagenden Gegenstand. Da gibt's komische Dinge zu besichtigen, gleich mit aufmerksamkeitsheischenden Titeln und einer abstrusen Legende versehen: „Weißer Rotwein", „Der Bruststein von Thomas Mann", „Schrauben eines Flugzeugabsturzes", „Der rote Faden, der durchs Leben führt", „Der Einschlag eines Gedankenblitzes", „Das Fell eines Bonsai-Hirsches".

Ebenfalls interessant die Gurltsche Sammlung von Mißbildungen, als Sammlung selbst eine Mißbildung, weil ein Brand nach dem Krieg den größten Teil der Präparate ­ eingelegte Rindswasserköpfe, verrenkte Gerippe von siebenläufigen Schweinen u.v.a.m. ­ vernichtete. Einige der Sammlungen, wie auch die Gurltsche Mißbildung, bestehen schon recht lange. Nur kurze Zeit gab es hingegen das Museum Plagiarius, das jährlich einen Preis verlieh, eben den Plagiarius, ein schwarzer Zwerg mit goldener Nase, und damit schlimme Fälscher, Plagiatoren und Ideenklauer prämierte.

Natürlich machen es einem solche Orte des Staunens nicht leicht; mitunter haben diese nicht staatlich bestallten Häuser zu Zeiten auf, da praktisch keiner ins Museum geht ­das Rotkreuz-Museum etwa hat nur zwei Mal die Woche, mittwochs und sonntags, für jeweils drei Stunden geöffnet. Dafür lohnt es sich hinzugehen.

Michael Glasmeier brachte vor nunmehr schon 13 Jahren im Merve Verlag ein verdienstvolles Buch heraus, das mehrere dieser eigentümlichen Wundersammlungen vorstellt: Periphere Museen in Berlin ­ es bedürfte jedoch einer überarbeiteten und erweiterten Neuauflage, denn mittlerweile sind einige der beschriebenen Museen eingegangen oder abgewandert ­ wie z.B. das famose Wäscherei-Museum, im Untertitel „Omas Waschküche", das jetzt in Eberswalde residiert ­, andere verschrobene Sammelsurien, Schaustellen des ungebändigten Triebs, merkwürdige Dinge zu horten, sind hinzugekommen.

Erst vor kurzem wurde kolportiert, daß am 30. März nächsten Jahres ein neues Museum in Berlin seine Pforten öffnen wolle: das erste Currywurst-Museum Deutschlands. Und das mit Futterstelle für die freßwütigen Wurstliebhaber. Großartig! Hoffentlich erhält dabei auch der lustige Currywurstsoßenstreit eine angemessene Würdigung. Trotzdem, besser gefallen hätte mir ein Schmuddelimbiß-Museum ­ wegen des weitaus größeren Sortiments an merkwürdigen Gegenständen, das eine solche Sammlung den Besuchern hätte bieten können. Natürlich mit treulich konservierter Fettpatina. Und mit verwesendem Fleisch.

Roland Abbiate

* Friseurmuseum, Alt-Marzahn 23; Zuckermuseum, Amrumer Straße 32, Wedding; Feuerwehrmuseum, Berliner Straße 16, Tegel; Museum der Dinge, Oranienstraße 25, Kreuzberg; Museum der Unerhörten Dinge, Crellestraße -6, Schöneberg; Gurltsche Sammlung von Mißbildungen in der anatomischen Sammlung des Institutes für Veterinär-Anatomie des Fachbereiches Veterinärmedizin der Freien Universität Berlin, Koserstraße 20, Dahlem

* Weitere Museen wie das Rotkreuz-Museum, das Schulmuseum, das Hundemuseum, das Wassersportmuseum, das Gaslaternenmuseum usw. unter www.berlin.de/museumsfuehrer

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