Ausgabe 6 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Ist das nicht körperliche Musik?

David Grubbs und Michaela Melián live und auf neuen Tonträgern

Das Konzert Anfang Juni in der Volksbühne begann mit Vortänzer Kim Hiortøy, jenem Designer und Multitalent aus Norwegen, der zum Beispiel Plattenhüllen für Motorpsycho oder Erlend Oye etworfen hat. Als Aufwärmer hatte er die schwierige Aufgabe, die Köpfe des Publikums zu rocken. Die Köpfe, ja, denn Volksbühnengäste sitzen gern – sonst würden sie stuhlfreie Räume fordern, statt Stuhlnachbarn auf ihre Nummern zu verweisen – und rocken im Kopf. Enthusiastisch, wie der gute Hiortøy alles aus sich herausholte, aus seinem Musikprogramm ein Instrument formte, als sympathischer Solotänzer, allein auf der Volksbühne. Ein wuscheliger Trip, den er dort erzeugte. Aber immer schön mit Pausen – Lied ist zuende, sollte dies dann heißen. Die Lichtführung der Volksbühnentechniker verhielt sich zudem kongenial – viel Erfahrung in Licht-Dramaturgie traf also auf zottelige Kopfschüttel-, eremitisch-verschrobene Hüpfbegeisterung. Eine Komposition entsteht, ein Rhythmus, ein Komponist verschmilzt damit vor aller Sitzenden Augen und Ohren. Also nichts für abstrakte Denk-Hörer, wenn Hiortøy die Maschine befragt. Und wenn die Maschine Hiortøy tatsächlich antwortet, mußte auch ich mitwippen oder ich wäre verloren gewesen.

Danach trat Michaela Melián im Duett mit Carl Oesterhelt auf und spielte die Stücke ihres letzten Albums Baden-Baden. Was andere Autoren gern als „Downbeat-Melancholie" beschreiben (Berliner-Zeitung), war in Wirklichkeit die Wahrheit über den abstrakten Blues. Die Einfühlung in die Musik wird hier zum allesbeherrschenden Thema. Was höre ich, was fühle ich, wenn ich höre? Entsteht etwas Neues oder befinde ich mich nur im selbstreferentiellen Raum, aus dem mich ein Zitat erreicht? Was erfüllt mich, beglückt mich, ist dies nicht körperliche Musik? Was macht die Komposition dann wiederum so beredt?

Michaela Melián sagt ­ nach Jahren der Bühnenerfahrung immer noch sympathisch aufgeregt ­ ihre schlicht betitelten Stücke (wie z.B. „Straße") an, muß selbst dabei schmunzeln. Der Sound ­ ähnlich wie auf der letzten F.S.K.-Platte sind viele elektronische Klänge untergemischt ­ geradlinig und monoton. Dazu gibt es live etwas Xylophon, Geige, Cello, Gitarre und einmal Gesang. Auf dem Höhepunkt des Vortrags kulminiert das alles schon mal fast zu einem Rondo-Veneziano-Bombast (diese Disco-Barockmusik aus den Achtzigern). Sehr lustig. Der barocke Pop-Witz ist angekommen und paßt sich gut ein in ein Theater mit Sitzreihen und Loge. Melián ist eine Meisterin im Entrümpeln von Songstrukturen, der Anekdote auf jede Zweckmusik: „Das nächste Stück heißt Brautlied."

Dann spielte David Grubbs, der Hauptact der Veranstaltung. Wenn man die endlosen Stationen seines Werdegangs nur schriftlich überfliegt, entsteht eher das Bild vom Musikwissenschaftler Grubbs. Die wichtigste Band seiner Laufbahn ist für mich Gastr Del Sol, ehemals im „Postrock"-Fach des Plattenladens zu finden, allmählich aber wohl auch einfach unter G einsortiert, wie auch Grubbs, solo. An den Kunstdozenturen oder Doktorarbeiten von Grubbs sollte man seine Musik bitte nicht messen. Ja, die Songstrukturen sind offen, offene Akkorde auch. Er ist aber weit entfernt von abstraktem, intellektuellem Ernst, der ja irgendwo auch nur wieder der (ernsten) Unterhaltung dient. Kategorien haßt dieser Mann offenbar, auch wenn es bei ihm nicht so überzeichnet ironisch herüberkommt wie z.B. beim Altmeister des symphonischen Rockzitats, Frank Zappa. Verwegen und subversiv sind Jazz und Neue Musik wirklich schon lange nicht mehr. Und Grubbs kratzt daher auch nicht mehr pubertär am Hauptportal dieser Hochkultur, sondern bewegt sich unabhängig ­ wie z.B. auch sein ehemaliger Bandkollege O'Rourke, der gerade ungezwungen mit Sonic Youth zusammenarbeitet, über die Genres hinweg. Ich höre also einen äußerst konzentriert musizierenden Grubbs, der seine Gitarre beschwört, aber nie im Sinne einer Kategorie (Kammermusik usw.) benutzt. Er versucht seine Lieder, seine Texte, die Emotionen, über die Arrangements in einen geschützten Raum zu retten. Und dies gelingt. Aus dem Publikum kommen Entzückensschreie, tosender Beifall. Ein Fan schreit mir in Punkmanier fast das Ohr taub und verschüttet Bier auf mich. Aber auch ohne herumfliegendes Bier wird für mich hautnah meßbar, auf was Grubbs zielt, nämlich auf die Interesselosigkeit. Dieser gegenüber versucht er gewappnet zu sein. Er ersinnt dazu Formen, die jeder Synästhetiker riechen kann. Zusammen mit einem bemerkenswert alles herausschwitzenden Cellisten gab Grubbs hier wirklich ein Meisterkonzert, immer die äußersten Grenzen permanent entlang wandernd, gegen elitäre Aufschneiderei resistent.

Jörg Gruneberg

* Kim Hiortøy, „Hei", Smalltown Supersound 2005; Michaela Melián, „Baden-Baden", Monika Enterprise 2004; David Grubbs, „A Guess at the Riddle", Drag City 2004

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