Ausgabe 6 - 2005 berliner stadtzeitung
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Keine Kröten mehr für Froschfunk

Radio Hundert,6: Sender ausgeschaltet, Mitarbeiter ausgesperrt

Foto: Jörg Gruneberg

Sie gehen noch zur Arbeit – auch wenn sie da, in den Räumen am Tiergarten, kaum mehr etwas machen können. Die 25 Mitarbeiter der Hundert,6 Medien GmbH haben nur „Studios" ohne Technik zur Verfügung – und damit ist kein Radioprogramm zu veranstalten. Die Hörerzahlen zu gering, die Miete zu hoch, der Werbeumsatz zu klein – der Sender, in West-Berlin von Unternehmern aus der Baubranche 1987 als private Konkurrenz zum öffentlich-rechtlichen, und daher als „links" geltenden SFB gegründet, stand vor dem Aus. Wie sollte man in dieser Situation als Chef vorgehen?

Thomas Thimme, Geschäftsführer und einmal Medienreferent der Grünen in Bonn, hatte offensichtlich ein wenig darüber nachgedacht und auch gehandelt, längst bevor seine Mitarbeiter ­ von ein paar „Handverlesenen" abgesehen ­ am 18. April ihre „verwaisten" Geschäftsräume bei Arbeitsbeginn vorfanden. Ganze sechs Personen (einschließlich Moderatoren) sendeten dann, mit neuen Arbeitsverträgen, vom neuen Standort in der Potsdamer Straße weiter.

Im März ließ Thimme ­ ebenfalls ohne die Mitarbeiter oder den Betriebsrat zu informieren ­ stillschweigend seine Sendelizenz durch den Medienrat auf eine andere Firma, Medialog, übertragen. Beantragt hatte er dies schon im Januar. Daher mußte die Hundert,6 Medien GmbH gar nicht senden, die Firma hatte seit Wochen keine Lizenz mehr. Aber schon vor dem 18. April klingelten die Alarmglocken bei den Beschäftigten: Neues Briefpapier mit neuer Adresse wurde aufgefunden, und die finanziellen Probleme waren kein Geheimnis.

Am Tag des „Nacht-und-Nebel"-Umzuges schließlich ließ Thimme die Insolvenz beantragen. Mietforderungen von 2,82 Millionen Euro, unbezahlte GEMA-Gebühren und eine Menge Personalkosten wollte er umgehen. „Ein Griff in die Trickkiste des Wirtschaftsrechts", so der Betriebsrat. Ein Programm mit lizenzbedingt hohem Wortanteil und Berlin-Bezug kann man auch nicht machen, wenn die Journalisten anderenorts ohne Arbeitsmittel sitzen. Kenner der Radioszene munkeln im Internet über Sendungen von „schlimmstem Offenen-Kanal-Niveau", und um solche Beschimpfungen zu belegen, werden zum Download und zur Belustigung Mitschnitte angeboten.

Thimme, einst harter Gegner des Privatfunks, hatte aber nicht nur seinen Schachzug im Voraus geplant, sondern auch schon mal ausgeführt. Als Geschäftsführer des legendären Radio 100 reichte er 1991 den Konkurs ein, obwohl genug Geld gesammelt wurde, um den alternativen Privatsender (der statt Werbeeinnahmen mit Zuhörerspenden auskam) zu retten. Damals standen die Radiomacher vor geschlossenen Türen, und der Chef wurde Häuptling beim NRJ, der die Frequenz übernahm.

Im Juni diesen Jahres, nach erfolgreichem Druck der Beschäftigten sowie nicht zu überhörenden Mängeln am Programm, wurde die Lizenz von Medialog auf die Hundert,6 Medien GmbH rückübertragen. Nur mit Sendegenehmigung ist ein insolventer Radiosender zu retten. Allerdings: Ohne technische und räumliche Möglichkeiten geht es nicht. Bis Anfang Juli muß Hundert,6 aus den Senderäumen am Katharina-Heinroth-Ufer raus. Und die technischen Möglichkeiten sind noch fest in Thimmes und Medialogs Händen ­ seine Angestellten senden inzwischen weiter. Betriebsratsmitglied Margit Ehrlich nennt dies „irritierend".

Medialogs Beschäftigte benutzen übrigens Studioräume, die Thimme von damals kennt. Früher wurde dort Radio 100 und dann NRJ gemacht.

Matthew Heaney

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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