Ausgabe 6 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Störenfriede

Die Aufgaben der Kiezstreifen

Wer jetzt mit dem Fahrrad fährt oder einen Hund ausführt, der kann was erleben. So wie der empörte Leserbriefschreiber, der davon berichtet, daß er wie gewohnt mit dem Fahrrad durch eine Grünanlage zur Arbeit fuhr und eines Tages unvermittelt von vier Uniformierten zum Halten genötigt wurde. Und daß ihm ein andermal sieben Uniformierte nächtens hinter einem Gebüsch auflauerten und ihm 20 Euro abknöpften, weil er seinen Hund nicht angeleint hatte. Der Schreiber kommt zu dem Schluß: „Kiezstreifen sind Störenfriede!"

Machen die Kiezstreifen nun Jagd auf Radfahrer und Hundebesitzer? Der Verärgerung mag sich nicht jeder anschließen. Es gibt Gegenstimmen, die es begrüßen, daß sich jemand der Ordnungsprobleme annimmt. Hundekot und nicht angeleinte Hunde, Grillen und Radfahren in Parks sind heiß umstrittene Themen, die nicht alle so locker sehen wie die Betroffenen. Ein User postet in einem Internet-Forum: „Zum Glück gibt es die Kiezstreifen (für uns die Bürger, Danke!!)."

Die Idee zur Errichtung von Kiezstreifen ging von der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus aus. Die Innenverwaltung änderte die Behördenorganisation von Land und Bezirken, man errichtete in allen Bezirken die bis dahin unbekannten Ordnungsämter. Was zunächst eine verwaltungsinterne Neuaufteilung von Aufgaben und Zuständigkeiten war, können die Bürger nun konkret erleben: Seit September letzten Jahres sind die Kiezstreifen unterwegs.

Sven Rissmann, Bezirksverordneter für die CDU, begrüßt dieses Instrument ausdrücklich. Erstens sei wissenschaftlich belegt, daß es einen Zusammenhang zwischen der Verwahrlosung des öffentlichen Raums und Kriminalität gebe. Zweitens habe Politik die Aufgabe, das Leben der Menschen angenehmer zu machen. Da die Polizei mit den Ordnungsproblemen nicht fertig wurde, seien die Kiezstreifen ein geeignetes Instrument im Kampf gegen die Verwahrlosung der Stadt.

Speziell für den Bezirk Mitte benennt Rissmann zwei Probleme: Zunächst müsse man Grillexzesse in geschützten Grünanlagen wie dem Tiergarten unterbinden. Zum zweiten gebe es ausufernden Alkoholkonsum, beispielsweise am Leopold- oder Alexanderplatz, wo größere Ansammlungen von Zechern herumlärmten und Müll hinterließen. Das rechtliche Instrumentarium, diese Mißstände zu unterbinden, sei vorhanden, die Polizei allein sei aber nicht in der Lage, das Gesetz durchzusetzen.

Doch wie soll man im Bezirk Mitte, mit der Einwohnerzahl einer Großstadt, der Ordnungsprobleme Herr werden, zumal wenn derzeit lediglich 16 von 28 Planstellen besetzt sind? Der Versuch, flächendeckend Präsenz zu zeigen, sei derzeit wegen der mangelnden Personalstärke zum Scheitern verurteilt, meint der kommissarische Leiter des Ordnungsamtes, Harald Strehlow. Lediglich ein schwerpunktmäßiger Einsatz der Mitarbeiter sei möglich. Die Kiezstreifen sollten die Polizei etwa bei der Durchsetzung von Parkverboten bei Demonstrationen oder des Leinenzwangs gegen Hunde von Punkern am Alexanderplatz unterstützen. Und dann stehe natürlich die Grillsaison und damit ein erhöhter Kontrollbedarf vor der Tür.

In Mitte hat das Ordnungsamt nun drei Gruppen von Außendienstmitarbeitern: Die einen überwachen den ruhenden Verkehr in den bewirtschafteten Parkräumen, die andern kümmern sich um den außerhalb der Parkraumbewirtschaftung. Und die dritten schließlich sind die mit Handy, Schlagstock und Pfefferspray ausgerüsteten Kiezstreifen, die im Amtsdeutsch „Allgemeiner Ordnungsdienst" heißen. Alle drei Gruppen haben unterschiedliche Aufgaben und Befugnisse und können nur nach einer Extraschulung im anderen Bereich eingesetzt werden.

Kompliziert? Das findet die Bevölkerung zuweilen auch, gibt Strehlow zu. Die Bürger sehen bloß die blaue Uniform und sind verwirrt, wenn die Politesse lediglich den Falschparker aufschreibt, aber nicht den Hundehalter ermahnt, der seinen Liebling nicht anleint. Ansonsten würden die Kiezstreifen von der Bevölkerung jedoch gut angenommen, versichert Strehlow. Er habe positive Rückmeldungen erhalten. Allerdings sei eine qualifizierte Bewertung ihres Einsatzes erst in einem Jahr sinnvoll, wenn der Aufbau abgeschlossen ist.

Die Schwerpunkte der Tätigkeit der Kiezstreifen sollen in den nächsten Monaten geklärt werden. Vielleicht werden dann die Radfahrer verstärkt ins Visier geraten? Auch sie müßten sich an die bestehenden Regeln halten, betonen Strehlow und Rissmann unisono. Und in Grünanlagen ist das Radfahren eben grundsätzlich nicht erlaubt. Aber sie lassen auch durchblicken, daß das Fehlverhalten der Radfahrer nicht als das zentrale Ordnungsproblem im Bezirk angesehen wird. Diese können wenigstens auf die Unterstützung der Grünen bauen: Nur wenn Radfahrer durch ihren Fahrstil Fußgänger gefährden, sollten sie von den Kiezstreifen angesprochen werden.

Mit der Errichtung der Ordnungsämter hat sich das Land Berlin neue Instrumente geschaffen, um Ordnungsprobleme im öffentlichen Raum zu beseitigen. Die sehr detaillierten Vorschriften über das, was auf Straßen und in Parks erlaubt und verboten ist, existieren bereits seit langem. Es hat sich bloß niemand um sie gekümmert. Wenn die Behörden jetzt Kiezstreifen losschicken, um die Bestimmungen durchzusetzen, handeln sie konsequent. Allerdings kann es passieren, daß sie Probleme produzieren, wo vorher keine waren. Die Frage, welche Schwerpunkte die Kiezstreifen setzen, wird also entscheidend sein.

Benno Kirsch

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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