Ausgabe 6 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

ditte&menschenkind

Wir sind die eiskalten Typen von Foron

Wenn es so heiß ist, macht sich Ditte gern kühle Gedanken. Cool, denkt sie, dieser Typ da mit der Gucchi-Vespucchi- Brille am Nebentisch. ER bedient gleichzeitig zwei Handys, während Menschenkind nicht eins hat. Andernfalls könnte er sie nämlich erlösen, hier, aus der Hitze, gegen die kein Eis, kein Sonnenschirm und auch nicht einmal die Schatten von Monbijou helfen können. Sie ist ja schon dreimal umgezogen, von einem Tisch zum andern und dann wieder zurück, so daß die Aushilfskellnerin mit den affenlangen Armen nun doch den Verdacht auf den verruchten Versuch von Zechprellerei in ihrem aufgeschreckten Blick nicht mehr verstecken kann. „Wie jetzt?" ist Ausdruck ihrer Verunsicherung, aber mehr kommt ihr auch nicht über die Lippen, so heiß ist es.

Ditte gießt ein Glas Leitungswasser nach dem anderen hinunter, zwischendurch noch eins über ihre Knie, nur um einen Hauch Coolness zu spüren. Wie kommt ihr dieser Typ da gelegen, Gel beglänzt, schwarz bebrillt im weißen Hemd! ER lenkt sie ab, und, hätte sie Ohrenlider, könnte sie ja vielleicht diese schlie-ßen, aber es ist nicht so, und eigentlich überhaupt, neugierig wie sie ist, hört sie gerne zu, was er in die beiden Handys verlauten läßt. Daß er zwischendurch noch Flirtversuche mit ihr veranstaltet, poliert ihr schwer geschädigtes Selbstwertgefühl wieder auf, das bis zur Fadenscheinigkeit abgewetzt ist, und sie schon zu meinen meint, jeder müsse ihr auf den ersten Blick ansehen, wie nachhaltig sie von ihrem Freund Menschenkind versetzt und schließlich auch verletzt wird.

Dieser Typ da, der wohl schon das dritte Bier trinkt, während die Blätterdächer zusehends verdorren und der Hitzeschlag hinter jedem Stuhl lauert! Eiskalt und unerschüttert spricht er in das eine Handy: „Wir haben versucht, die Post noch ins Kempinski zu bringen. Ich bin im Zug nach Hannover. Sind Sie schon in Dresden? Mein Partner ist noch da. Ich rufe Sie gleich zurück. Ja, 20 Prozent schenkt Ihnen der Staat. Ja, Sanierungsgebiet, ja, der schenkt es Ihnen." Break.

Ins zweite Handy: „Hörst du mich? Scheiße, das Netz hat versagt. Denkst du, ich komme, wenn ich nicht will? Moment mal. Mit dem Kempinski hat es geklappt. Nimm die braune Tüte. Ja, die liegt dort. Das Scheißding!" Er nimmt es vom Ohr und legt es neben sein Bier.

Das andere Handy: „Kennen Sie den Regierungspalast? Fahren sie einfach drüber weg. Vorne das Finanzamt. Dann rechts über die Brücke, dann links und dann immer geradeaus. Wenn Sie das haben, würde ich Ihnen dann gern alles andere erklären. Hören Sie mich noch? Es ist zum Kotzen."

Das andere Handy ans andere Ohr: „Nicht, daß der Fisch uns durch die Lappen geht! Ach, Scheiße."

Inzwischen klingelt das Weggeknackte. „Mit fünfzigtausend würden Sie auskommen. Der Steuerberater weiß besser Bescheid als ich. Es gibt keinen großen Unterschied. Und wo? Blasewitz oder Strehlen? Loschwitz? Ja, Loschwitzer Straße, Tolkewitzer Straße. Welche Polizei meinen Sie jetzt? Ach hier, im Zentrum drin? Was soll das kosten? Was ist los mit dem Neffen?" Der eiskalte Typ von Foron, wie ihn Ditte schon insgeheim nennt, stampft dreimal mit dem Absatz in den Kies, daß ihr ein Steinchen an die Wade springt.

Aber er hat sich bereits wieder eingekriegt. Nach einer Pause, die eine Spaltfalte über der Nasenwurzel erscheinen läßt, fährt er fort: „Ja, ich hasse diese Intercitys! Die Klimaanlage ist ausgefallen. Ich rufe meinen anderen Partner an, er soll mich in Braunschweig abholen. Vielleicht klappt es dann auch besser mit dem Netz! Ach Gott, wir haben schon wieder Verspätung. Der Emp- fang ist furchtbar. Die Grobberechnung? Noch richtig Kohle aus dem Eigenkapital."

Das andere Handy klingelt: „Ach, du weißt doch, wie beschäftigt ich bin, Kleines. Ja, kauf dir die High Heels."

Hinter Ditte knirscht der Kies. „Gnädigste, Sie sitzen hier wie bestellt und nicht abgeholt. Soll ich Sie ein Stück mitnehmen?" Foron hat noch nicht bezahlt, denkt sie, als sie ihm in die braunen Augen schaut und seinen Schokoladenschmelz in der Stimme nachschmeckt. Diese Klangfarbe hat sie beim Telefonieren noch nicht gehört. Ihr Kopfschütteln reicht ihm. Weg ist er.

„Wie jetzt, bezahlen Sie für den Herrn?" Die herbeigeeilte Aushilfskraft läßt das Tablett zwischen ihren langen Armen baumeln. Wo nur Menschenkind steckt?

Brigitte Struzyk/Dieter Kerschek

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