Ausgabe 5 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Weg mit dem Müll!

Wie Bettler und Trinker aus der Innenstadt verbannt werden

Seit Mitte der neunziger Jahre sahen sich immer wieder mal verschiedene Berliner Würdenträger bemüßigt, im Namen der Sicherheit in ihrer Stadt die einzig wahren Saubermänner zu geben, und wetterten wie Masterplaner Hoffmann-Axthelm wider „diese verlauste Innenstadt" oder posaunten wie der damalige CDU-Fraktionschef Landowsky: „Wo Müll ist, kommen die Ratten. Und wo Verwahrlosung herrscht, ist auch Gesindel." Und Polizeipräsident Saberschinsky salbaderte: „Die Verschmutzung sowie das damit verbundene Erodieren des Rechtsbewußtseins sind sehr ernst zu nehmende Faktoren für die Sicherheit einer Großstadt." Das alles, um im Chor zu fordern: „Weg mit dem Müll!"

Die aufgeregten Jungs von der Putzkolonne erhielten Unterstützung durch die Journaille: So bejubelte die Berliner Morgenpost im August 1997, daß Innensenator Schönbohm „als zupackender ,John Wayne' den Kampf gegen Wagenburgen, Graffiti und Bettler aufnimmt", und veröffentlichte allenthalben grausige Berichte über die „Bettler-Mafia". Was sich als energischer Kampf gegen die Kriminalität vorstellte, offenbarte sich als eine Strategie, deren eines nicht unwichtiges Ziel es war und ist, Obdachlose, Bettler, Trinker mittels Kriminalisierung aus der Innenstadt zu vertreiben. Letztlich also die Armen aus dem Blickfeld verschwinden zu lassen.

Berlin bildete dabei keine Ausnahme: Andere deutsche Städte wie München, Fulda, Saarbrücken, Augsburg erließen sogenannte „Gefahrenabwehrordnungen" oder gar regelrechte Bettelsatzungen, um öffentliche Trinker, heruntergekommene Obdachlose und aggressive Bettler aus der Innenstadt zu verdrängen. Und der unsägliche Ronald Schill forderte vor seiner Installierung als Hamburger Innensenator im Jahr 2001, Einkaufsstraßen an die Geschäftsinhaber zu verpachten, damit diese durch einen eigenen Sicherheitsdienst Bettler und Junkies entfernen könnten.

Das repressive Vorgehen gegen diese Randgruppe ist Ausdruck einer neoliberalen Politik, die sich von jeglichen sozialen Verpflichtungen zurückzieht, einer Politik, die die Stadt als Standort und nicht als Wohnort begreift und ihre Entwicklung einzig an wirtschaftlichen Kriterien ausrichtet: die „Stadt als Unternehmen", die – um sich gut zu verkaufen – zu allererst „sauber" und „sicher" sein muß. Bettler und anderes Gesindel sind da fehl am Platz. Es läßt sich schlecht Geschäfte machen im Angesicht der Armut.

Also geht man in Berlin und anderswo nicht gegen die Armut vor, sondern gegen die Armen und redet ständig von „Null Toleranz": Das kleinste Bagatelldelikt (etwa das öffentliche Herumnuckeln an Bierflaschen) müsse streng geahndet werden, weil es unweigerlich weitere, schwerere Verbrechen nach sich ziehe, eben „wo Müll ist, kommen die Ratten". Dieses Argument ermöglicht auch den Brückenschlag vom harmlosen Bettler zum üblen Schwerverbrecher.

In Zeiten zunehmender Unsicherheit und Ungleichheit wächst bei den Lohnabhängigen wie auch bei den kleinen Dienstleistern und den Freiberuflern die Angst vor dem eigenen wirtschaftlichen und sozialen Absturz; man ist bemüht, sich abzugrenzen von den offensichtlich schon Gescheiterten. Werden die Underdogs auch noch fortwährend mit kriminellen Machenschaften in Verbindung gebracht, sind Mitleid und schlechtes Gewissen schnell beiseitegeschoben. Die Ursache für die Verunsicherung wird nicht mehr im neoliberalen Strukturwandel gesucht, sondern vielmehr im Fehlverhalten der Modernisierungsverlierer. Das macht das Aufräumen für die allwaltenden Saubermänner leicht.

Zudem führt die Berliner Polizei eine Liste „gefährlicher Orte" in der Innenstadt, darunter der Volkspark Weinbergsweg oder der Helmholtzplatz: „Brennpunkte für Straftaten von besonderer Bedeutung". Auf solcherart deklarierten Plätzen kann die Polizei verdachtsunabhängige Personenkontrollen und Durchsuchungen vornehmen, Platzverweise aussprechen oder eine mißliebige Person ­ einen Obdachlosen, einen Bettler (einen Drogendealer müßte sie ja festnehmen) ­ auch schon mal in „Verbringungsgewahrsam" nehmen und sie kurzerhand am Stadtrand aussetzen, alles gesetzlich legitimiert. Selbst Verhaftungen sind möglich, ohne daß ein Tatverdacht vorliegen muß.

Neben der zunehmenden und gleichzeitig restriktiveren Kontrolle des öffentlichen Raums ist die Politik, die im Namen der „Stadt als Unternehmen" agiert, gekennzeichnet von dem Bestreben, den öffentlichen Raum ganz zu privatisieren, um nach dem Vorbild der Shopping Malls und der zu Einkaufszentren mit Gleisanschluß mutierten Bahnhöfe nicht mehr für jeden zugängliche Paradiese des Konsums zu schaffen, halböffentliche Räume, wo kein Penner den schönen Schein der Wirtschaftswunderwelt trübt. Beispiel hierfür ist etwa das Sony-Center am Potsdamer Platz, wo nicht mehr das öffentliche Recht, sondern das Hausrecht gilt, vom privaten Wachschutz durchgesetzt. Der „Müll" bleibt außen vor und kann sich nicht mal mehr die Nase an den Schaufensterscheiben plattdrücken.

Im Sony-Center ist pikanterweise auch jegliche politische Meinungsäußerung wie z.B. das Verteilen von Flugblättern verboten, logische Konsequenz einer Politik, die sich lediglich als Erfüllungsgehilfe wirtschaftlicher Interessen versteht.

Gertrude Schildbach

 
 
 
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