Ausgabe 5 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Aufstieg und Fall der Biermetropole Berlin

Eine Ausstellung über die Brauereistandorte im Nordosten

Berlin, einst die Stadt mit der weltweit größten Bierproduktion, hat kein Brauereimuseum – anders als Kleinstädte wie Monschau in der Eifel oder Metropolen wie Kopenhagen, wo das Museum der Carlsberg-Brauerei zu den Touristenattraktionen zählt. Das Prenzlauer Berg Museum hat diese Lücke jetzt zumindest temporär geschlossen und sich in einer ambitionierten Ausstellung der Brauereigeschichte im Berliner Nordosten, genauer: innerhalb der Grenzen des heutigen Großbezirks Pankow, des Themas angenommen und dazu einen gut gemachten Katalog vorgelegt.

Die dem Zuständigkeitsbereich des Museumsverbunds Pankow geschuldete Konzentration auf diesen Bezirk hat freilich etwas Beliebiges, konzentrierten sich doch im gesamten Nordosten von Wedding bis Friedrichshain Ende des 19. Jahrhunderts die Brauereien. Im Bezirk Pankow, wo noch heute bekannte Namen wie Schultheiss ebenso vertreten waren wie die längst vergessenen Brauereien Saxonia oder Dittmann, ist die historische Bausubstanz auf 13 Arealen zumindest noch teilweise vorhanden. Als letzte wurde 1990 die ehemalige Brauerei Willner, zuletzt Weißbierabteilung im VEB Getränkekombinat Berlin, stillgelegt. Dann kam der Denkmalschutz, es wurde saniert wie im Falle der Kulturbrauerei oder aber die Umnutzungs- und Rettungspläne zerschlugen sich wie bei der Malzfabrik in der Mühlenstraße, deren Verfall schon bedrohlich weit vorangeschritten ist.

Die Ausstellung, an deren Zustandekommen der Bauhistoriker Klaus Küvers und der Dipl.-Brauingenieur Karl-Heinz Pritzkow beteiligt waren, schlägt einen weiten Bogen von den Anfängen des Brauens auf der Hochebene des Barnim, damals noch vor den Toren der Stadt gelegen, bis hin zur Nachnutzungsproblematik der Areale. Diese scheint im übrigen erst seit 1990 zu bestehen. Als bereits um 1920 zahlreiche Brauereien schlossen, fanden sich offenbar problemlos Werkstätten, Fabriken und Kinos, die die Räumlichkeiten weiter nutzen wollten.

Die Luftaufnahmen, die Jürgen Hohmuth mit Hilfe eines kleinen Zeppelins gemacht hat, zeigen eindrucksvoll das Ausmaß der Flächen, die von den Brauereien in Beschlag genommen wurden. Freilich waren diese Areale immer offen zur Stadt hin, lockten mit Biergärten und Saalbauten Gäste an, wo es früher schon Ausflugslokale gegeben hatte und wo die für die Herstellung des sich immer mehr durchsetzenden untergärigen Biers notwendigen Gär- und Lagerkeller angelegt werden konnten. Ein Biertrinker, der in einem „Bier-Hörspiel", das man in der Ausstellung hören kann, zu Wort kommt, vertritt allerdings eine andere Theorie: „Wo die Brauereien waren, war meistens ein Friedhof daneben." Die Leichen würden sich wohl positiv auf das Grundwasser auswirken. Leichensäfte im Brauwasser?

Wie auch immer: Neben Stadtgeschichte und Brautechnischem widmet sich die Ausstellung auch ausgiebig der Trinkkultur, verweist mit den „Erfahrungen eines Anonymen Alkoholikers" sogar am Rande und irgendwie alibimäßig auf problematische Seiten des Alkoholgenusses. Man hat versucht, möglichst viele Original-Flaschen und -Etiketten der untergegangenen Brauereien aufzutreiben, es werden Bilder der prunkvollen Saalbauten gezeigt, Biergläser und Kneipeninterieur. Ein Ereignis wie der Bierboykott von 1894 – ein heute undenkbarer Konsumentenstreik – wird ebenso dokumentiert wie die schaurige Geschichte des Engelhardt-Bierengels: Der nackte blonde Junge mit den Engelsflügeln, der sein Geschlecht hinter einem gewaltigen Bierkrug verbirgt, ersetzte 1935, nach der Arisierung der Engelhardt-Brauerei, einen ursprünglich androgynen, schwarzhaarigen Engel. Nach dem Krieg wurde der blonde Engel wie selbstverständlich beibehalten.

Vielleicht bekommt Berlin ja doch noch irgendwann sein Brauereimuseum. Die Geschichte des Brauens in der Stadt wäre interessant genug, und in den denkmalgeschützten baulichen Hinterlassenschaften der Brauereien wäre genug Platz.

Florian Neuner

* Die Ausstellung „Geschichte und Perspektiven der Brauereistandorte im Berliner Nordosten" ist noch bis zum 18. Oktober im Prenzlauer Berg Museum in der Prenzlauer Allee 227/228 zu sehen. Der Katalog ist im text.verlag erschienen und kostet 16,90 Euro.

Foto: Knut Hildebrandt

 
 
 
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