Ausgabe 5 - 2005 berliner stadtzeitung
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Zu Besuch im Kunstoffice

Bewegt sich der Wandersmann zu mitternächtlicher Stunde auf der Chausseestraße Richtung Wedding, gewahrt er an der Ecke Wöhlertstraße gleißendes Licht. Er steht vor einem neonerleuchteten Ladenlokal und entdeckt eine Galerie, durch deren Scheiben er die gerade laufende Ausstellung gut einsehen kann: das Kunstoffice. Die beiden Betreiber verstehen das KO als „frei finanzierte, unabhängige Projektgalerie, Konzeptraum, Denkraum". Sie zeigen dort Kunst, die auf dem Markt nicht vorkommt, ihrer Meinung nach aber dringend benötigt wird.

Bis in die Siebziger war hier ein Schuster aktiv, dann standen die Räume lange leer. Sie befanden sich damals in unmittelbarer Nähe zum Grenzübergang Chausseestraße, kein einfacher Ort für ein Gewerbe. Nach der Wende versuchten sich diverse Kleinhändler, bis die jetzigen Macher des KO kamen und von den Räumen an der Endhaltestelle der Straßenbahnlinie 8 begeistert waren.

Eine Ausstellungseröffnung im KO ist ein besonderes Ereignis. Man besucht diese Galerie nicht, um einen Wein zu nippen, eine halbe Stunde wißbegierig rumzustehen und danach in die nächste Kunstbude zu wackeln. Wer kommt, bleibt meist, und zwar viele Stunden. Das KO ist ein Platz des Meinungsaustauschs, darauf legen die Betreiber viel Wert. Es gibt Bier und Wein zu zivilen Preisen, häufig bekommt man auch ein Süppchen ab. Das KO gibt es inzwischen vier Jahre, ein Stamm von Künstlern hat sich herausgebildet, der regelmäßig seine Arbeiten dort zeigt.

Am 28. Mai ging wieder mal eine Ausstellungseröffnung über die Bühne. In der Ausstellung Soldaten zeigt der Maler Ulrich Diezmann Gemälde, auf denen Soldaten „ihren Job erledigen". Leichenberge oder Gemetzel sind jedoch nicht zu sehen ­ Diezmann malt die Soldaten quasi auf dem Weg zur Arbeit.

Diezmann benutzt in diversen Medien veröffentlichte Pressefotos aus Krisengebieten, die er am Overheadprojektor bearbeitet und in seine Bildsprache überträgt. Er untersucht das Bild hinter den Bildern, die uns tagtäglich medial um die Ohren gehauen werden. Er versagt sich dabei jede plakative Wertung, zeigt nur die Figur des Soldaten ohne erkennbare Gesichtszüge, als bewegtes Teilchen im abstrakten Kriegsraum. Eine Ausstellung als Spiegelung eines gesellschaftlichen Phänomens, die jeden herausfordert, einige Besucher sicher verstört zurückläßt. Zur Eröffnung lief übrigens keine Marschmusik.

Frank Willmann

* „Soldaten", noch bis zum 22. Juni im Kunstoffice, Wöhlertstraße 21a, Mitte, Di von 17 bis 20 Uhr geöffnet, www.kunstoffice.de

 
 
 
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