Ausgabe 5 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

„Wir wollen für Verwirrung sorgen"

Agitprop heute: Ein Interview mit Ted Gaier und Bernadette Hengst vom Schwabinggrad Ballett

Zum Interview im Büro des Staubgold-Labels hat Bernadette Hengst ein paar Biere mitgebracht. Ted Gaier erscheint zwar zu spät, dafür aber im schicken schwarzen Anzug mit dunklem Seidenhemd. Er kommt direkt aus Hamburg und berichtet einigermaßen genervt von einer Aktion des Schwabinggrad Balletts in Hamburg zum EuroMayDay, einer europaweiten Alternativ-Veranstaltung zum 1. Mai verschiedener linker Gruppen. Es geht ihm um die Wahrnehmung von politischem Widerstand, der nur noch als bunte, karnevaleske Folklore registriert wird. Um die Ernsthaftigkeit der politischen Inhalte deutlich zu machen, plädiert Ted für die Wiedereinführung des Schwarzen Blocks. Es beginnt ein lustig-diskursives Ping-Pong rund um den Schwarzen Block: Fragen wie die Bilderwartung der Medien und ob Gewalt gegen Sachen Inhalte zum Verschwinden bringt oder deutlicher heraustreten läßt und ästhetische Fragen einer Widerstandspolitik. Damit sind wir mitten drin im Themenfeld des Schwabinggrad Ballett, einer 20köpfigen Agitprop-Combo zwischen Musik, Kunst, Politik und Theater, das ungewöhnliche Wege einer ästhetisch-politischen Handlungsfähigkeit sucht. Das Dramatische an dieser brillanten Situation: Sie ist unwiederbringlich dahin, denn das Diktiergerät harrte noch im Stand-By-Modus. Aber das Gespräch dauerte dann noch über eineinhalb Stunden.

Das Schwabinggrad Ballett engagiert sich in politischen Projekten und bei Aktionen wie dem Grenzcamp. Dabei unterläuft die Gruppe immer wieder eingefahrene Erwartungen. Was ist das Ziel einer solchen Auftrittsstrategie?

Bernadette: Ich würde sagen, es geht um Bilder, die wir als Gruppe und als Teil der Linken mit all ihren Widersprüchen auf die Straße tragen. Wir wollen für Verwirrung sorgen und unsere eigene Verwirrung zu den Fragen: Was kann man „dagegen" tun? Wo stehen wir? Wie erreichen wir etwas? thematisieren.

Ted: Wir wollen eine linke Ästhetik hinterfragen. Auf dem EuroMayDay haben wir entgegen dem Konsens aus Latino-Ska und Dub-Reggae, der leicht reinläuft und als Widerstandsform per se gilt, mit Free Jazz und Loops aus E-Musik ein komplett anderes Programm gespielt. Damit unterläuft man erst mal die Erwartungshaltung, erntet dafür allerdings auch überwiegend Kopfschütteln.

Was stört euch denn an der Musik oder genauer: an der Art, wie diese Musik inszeniert wird?

Ted: Es geht um das Abfeiern einer inhaltsleeren Symbolik. Damit ist man natürlich in einem Dilemma: Politik ist immer symbolisch. Es ist das Feld der Symbolik, und – das ist das Triste – die großen Felder von Politik lassen sich nicht symbolisieren. Bei der Gentrifizierung von Stadtteilen zum Beispiel ist man immer auf sich selbst zurückgeworfen, weil man das symbolisch nicht auf den Punkt bringen kann.

Aber gerade im Rahmen der Innenstadt-Aktionen ist es gelungen, diese Form der Verdrängung und der dahinterstehenden Politik zu thematisieren und pointiert darzustellen.

Ted: Das war genau das Gruselige an diesen Aktionen: Man möchte mit verschiedenen Happenings wie durch Einschränkung der Bewegungsfreiheit im öffentlichen Raum einen autoritären Staat vorführen, um so einen Unwillen bei den Passanten hervorzurufen – aber die Leute schlucken es im Regelfall, und niemand regt sich auf. Es gibt kaum noch so etwas wie Bürgerbewußtsein – was das betrifft, sind wir auf dem besten Weg in die Vor-68er-Zeit. Das ist das Drama an dieser Situation: Die Disziplinierungsmaßnahmen greifen so gut, daß bei solchen Aktionen die Ironie nicht mehr wahrgenommen wird.

Bernadette: Und es stellt sich die Frage: Wem nutzt diese Ironisierung? Deswegen finde ich Aktionen, die wirklich Verwirrung stiften, die nicht ohne weiteres in einen ordnungspolitischen Kontext einzuordnen sind, sinnvoller.

Eure Platte setzt sich aus ganz verschiedenen Bestandteilen zusammen und thematisiert ja auch Widersprüche und Brüche. Da finden sich Hanns-Eisler-Interpretationen neben Coverver-sionen von den Goldenen Zitronen und FSK genauso wie Free-Jazz-Improvisationen. Ist dieses Repertoire durch eure Auftritte oder erst durch die Idee einer Plattenaufnahme entstanden?

Ted: Es gibt Songs für die Straße, die konkret für das Straßentheater entstanden sind. Zum Beispiel haben wir auf den Grenzcamps als antike Hellenen verkleidet Immigration zum Thema gemacht. Wir haben den Spieß umgedreht und behauptet, daß die Germanen die Wanderarbeiter waren – die Billiglohnarbeiter, die Einlaß nach Hellas begehrten. Dazu rezitierten wir Texte von Perikles und haben das in einer Revue zusammengefaßt, da kam dann das Lied der Baumwollpflücker von Hanns Eisler dazu.

Bernadette: Wir haben eine Art Sklavenmarkt nachgespielt. Die nützlichen Sklaven wie der Computersklave durften bleiben, die anderen wurden dann – wie bei einer Aktion in Hamburg – auf einem Floß ausgesetzt und abgeschoben. Dazu gehörte auch die Figur des Baumwollpflückers, den niemand braucht und der eben auch verschwinden muß. Bei einer Grenzcamp-Aktion in Straßburg haben wir uns als Straßentheater-Gruppe in die abgesperrte Innenstadtzone eingeschlichen – wieder verkleidet als Hellenen.

Ted: Eine französische Spezialeinheit wollte uns dann aufs Maul hauen.

Bernadette: Wir sollten jedenfalls den Platz verlassen und unsere Pässe vorzeigen. Daraufhin haben wir unsere Pässe in die Luft gehalten und „solidarité avec les sans-papiers", also „Solidarität mit den Illegalen" gerufen, und plötzlich hielten auch andere Leute in der Menge ihre Pässe hoch und riefen gemeinsam mit uns, den seltsam verkleideten Typen, diesen Solidaritätsspruch. Das war eine ziemlich gelungene Aktion von Straßentheater.

Solche Aktionen zeigen, daß es nicht planbar ist, was passiert. In diesem Fall kam es erst durch das Eingreifen der Polizei zu einer wirklich öffentlichkeitswirksamen Aktion.

Bernadette: Genau – wir als Schwabinggrad Ballett überlegen nicht, wie wir möglichst viel Öffentlichkeit erreichen können, wir bleiben bei der Planung der Aktionen dicht bei uns. Wir machen uns zwar Gedanken über die Wirkung und natürlich über die Bilder, die wir benutzen, aber was tatsächlich für eine Reaktion stattfindet, das kann man nicht voraussagen.

Glaubt Ihr, daß eure Musik durch die Form per se eine Widerständigkeit transportiert? So was hat man jedenfalls lange von Punk oder HipHop gedacht ­ was sich später als großer Irrtum erwies.

Bernadette: Ich glaube, wir sind zu spröde, um vereinnahmt zu werden. Aber du hast natürlich recht – die Form kann vereinnahmt werden. Diese Frage haben wir uns vor der Aufnahme natürlich auch gestellt. Erstarrt das Projekt dadurch nicht, wenn wir anfangen, uns zu reproduzieren?

Ted: Wir sind nur zwei von 22 Leuten in diesem Projekt – allein diese große Zahl schließt eine Eindeutigkeit schon mal aus. Meistens werden die vereinnahmt, die Antworten haben, und nicht die, die Fragen stellen. Punk und HipHop formulieren Antworten. Beim Schwabinggrad Ballett wird definitiv mehr gefragt als geantwortet, und das macht es schwierig, uns einzukassieren.

Abgesehen von solchen Konzepten erlebt Musik mit politischen Statements à la Jan Delay oder den Brother Keepers momentan eine Renaissance.

Ted: So was gibt es doch immer wieder: Zum Beispiel die Scherben oder Slime, die heute ja auch immer noch gehört werden. Dann gab es irgendwann Manu Chao und natürlich so was wie Chumbawamba, die ich inzwischen regelrecht reaktionär finde. Chumbawamba vereinfachen alles bis zum Exzeß. Das sind Songs zum Mitschunkeln ohne inhaltliche Auseinandersetzungen. Und dahinter steht die Idee, daß man populär sein muß, wenn man was erreichen will. Dafür nehmen die dann Harmonien von englischen Saufliedern, die jeder kennt. Das ist beim Schwabinggrad Ballett absolut nicht das Ziel. Man kann sich ästhetisch einfach nicht so weit runterschrauben, denn damit verkauft man die Leute für dumm.

Bernadette: Das hat was von einer typisch linken Haltung, daß man sich gegenseitig auf die Schulter klopft und sagt: Wir sind alle einer Meinung und wissen, wie es läuft. Im Vergleich dazu finde ich eine Künstlerin wie M.I.A. spannend. Der Vater kämpfte in der Untergrundarmee von Sri Lanka. Sie emigriert mit ihrer Mutter nach England, durchläuft die Kunsthochschule, eignet sich Popwissen an, schließt sich mit progressiven Produzenten zusammen und bringt ihre asiatischen Einflüsse mit ein. Durch diesen Hintergrund und ihre Texte löst sie eine Diskussion aus. Ist das dann Emanzipation und Aneignung oder wird das durch alle möglichen Covergeschichten zu einer Plattitüde runtergeritten? Also im Sinne von: Wir leben in einer toll globalisierten Welt und beziehen sogar Kinder von Terroristen mit in unsere Popwelt ein, und da darf dann die Dritte Welt auch mal die Erste besuchen.

Entscheidend ist doch die Frage: Was wird davon wahrgenommen? Geht es nur um den super-coolen Sound, der dann entsprechend stylish verpackt ist? Oder transportiert sich dadurch nicht auch ein Mehr an Inhalt?

Ted: Das ist immer das Paradox mit linker Politik: Natürlich hat man Maximalforderungen im Kopf, auch maximale ästhetische Vorstellungen. Andererseits freut man sich über Leute, die für ihre Generation und auf ihrem Level Position beziehen. Als die Brother Keepers damals ihre Adriano-Scheibe rausbrachten, konnte man einfach nur froh sein, daß sich da mal was artikuliert. Natürlich entsteht da gleichzeitig auch ein Unbehagen, wie damals bei Public Enemy. Die brachten mit Don´t Believe The Hype Werber und Medienleute in angesagten Clubs zum Tanzen, also genau die Leute, die nichts anderes als Hypes produzieren. Letztendlich bleibt die Frage: Was kann man von Pop erwarten? Pop ist schließlich kein Schulungsprogramm.

Von solchen Phänomenen mal abgesehen, spiegelt sich im Erfolg von den Brother Keepers oder M.I.A. nicht auch die Suche nach Inhalten oder stärker noch nach Werten wider?

Ted: Meine These ist: Hier gibt es coole Tanzmusik – und die ist natürlich besser als die banale andere, weil die Leute was zu sagen haben. Das spürt man oder nimmt man diffus im Hintergrund wahr, aber das ist nicht der primäre Grund, warum man es gut findet. Es ist einfach cooler, weil da noch mehr drin ist, aber genau wissen will man es dann auch wieder nicht, was dieses Mehr denn ausmacht, worauf es sich bezieht. Aber davon abgesehen ist es mühsam, die Wirksamkeit von politischer Kunst analysieren zu wollen.

Bernadette: Ich glaube, das macht auch unsere Platte aus: Sie spiegelt die Widersprüche und Fragen die wir haben wider. Dabei entsteht dann so etwas wie subversive Schönheit, deren Wirkung sich definitiv nicht bemessen läßt.

Interview: Marcus Peter

 
 
 
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