Ausgabe 5 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Berlin ­ Eisenach 1905

2. Juni bis 30. Juni

In einem Café am Kurfürstendamm sitzen sie am Morgen beim Skaten, als eine etwas Bassermannsche Gestalt in Begleitung eines fünfpferdigen Motorzweirads in diese edle Runde platzt und mit fliegendem Start diversen schwarzen Kaffees den Garaus macht. Dann ein kurzes Abschiednehmen – eine Probe der Maschine und durch die Joachimsthaler Straße über Friedenau, Steglitz und Zehlendorf geht es auf dem puffenden Motor nach Süd-Süd-West. Langsam steigt die Sonne über den grünen Wäldern von Klein-Machnow und Potsdam.

Noch sind die Straßen leer und die Maschine darf laufen, was sie kann. Im Fluge ist Potsdam erreicht und schon sind die Berge an den Jägerschießständen erklommen. An Michendorf und am Seddinsee führt die Fahrt durch die stille märkische Heide. Nur Rehe und Wildkaninchen kreuzen die Chaussee.

In Beelitz sind bereits die Bäckerjungen mobil. Hinter Beelitz wieder Wald, durch den unser Zweizylinder in schönem Doppelschlag seine Bahn zieht, sofern der Ausdruck auf 70 km pro Stunde paßt.

Schon taucht von weitem der Burgfried von Treuenbrietzen auf, jener trutzige Turm, dessen Kopie wir an unserem Märkischen Museum in Berlin finden. Die Stadt verdient es, Treues Brietzen zu heißen, weil sie dem Fürsten Treue bewahrte, weil sie nicht, wie die meisten anderen Städte der Mark, zum falschen Waldemar abfiel. Aber das ist 700 Jahre her! Heute sperrt uns der Kommiß die Bahn. Ein Bataillon zieht ins grüne Feld und sperrt die enge Straße. Also warten wir und füllen Benzin ein, jetzt ist der Weg frei. Die Berglandschaft des Fläming beginnt und bald erglänzt im Schein der vollen Morgensonne die Elbe bei Wittenberg.

Drei Pfennig Brückengeld werden seufzend bar bezahlt und bis Bitterfeld ist nun Renn-Chaussee. Die Maschine knattert nicht mehr, sondern schnurrt. In Bitterfeld ist Frühstückspause, denn: „Trifft man sich nicht in dieser Welt,/So trifft man sich in Bitterfeld." Von allen Seiten kommen hier bereits die biederen Motorradlersleute zusammen, die zum Vereinstag nach Eisenach wollen. Auf Bitterfeld folgt bis Halle eine Chaussee, an der die Warnungstafel leider fehlt. Sie müßte lauten: „Diese Chaussee ist keine Chaussee, wer es aber doch tut, hat sich die Folgen selber zuzuschreiben." Übel durchgeschüttelt erreichen wir Halle. Es folgen schlechte Steinwege in einförmiger Gegend. In Weißenfels gibt es eine kleine Pause. Der Motor sagt zweimal „Puff" und bleibt stehen. Zum Glück passiert dies nicht auf freiem Feld sondern stets vor einer Kneipe. Also hinein in diese Kneipe und bei einer großen Leipziger Provenienz werden die Kontaktschrauben revidiert. Nach einer halben Stunde läuft er wieder und nun geht es in die Berge, die dem Motor nicht gefallen.

Apolda, Weimar, hügeliges Land, in dem der Motor schwer arbeiten muß. Nun wieder fette Ebene, Erfurt, die Stadt der Blumen und des Blumenkohls wird passiert, dann Gotha, noch ein Berg und wir lenken ins schöne Tal der Hörsel.

Da liegt nun Eisenach, von der Höhe grüßt die alte Wartburg und in der Stadt Fahnen und Ehrenpforten die Fahrer und durch die Straßen knattern Hunderte von Motoren. Die alte Wartburg erlebt einen neuen Sängerkrieg! Die modernen Meistersinger lassen nicht Harfen sondern Hupen ertönen, und der Krieg währt gerade 100 Meilen, nämlich von Eisenach bis Berlin und von Berlin bis Eisenach.

Freitag morgen um 3 starten 80 Fahrer im Lendenhof bei Eisenach, und um 21.30 Uhr erwartet man die ersten in Berlin-Steglitz. Sonnabend gehen sie um 3 Uhr in Steglitz ab, um bis Mittag in Eisenach zu sein. Aber das sind ja alles Konditionalsätze und zwar irreale. Es gibt Nägel auf der Straße, und dann muß man Pneumatik flicken. Es gibt Bäume, und die gehen nicht aus dem Weg. Es gibt am Motor allerlei, denn diese Maschine hat allerlei Launen, die der Anzahl der Pferdestärken proportional sein sollen. Qui vivra verra!

Bemerkt sei aber, daß unser chamantes Vereinsmitglied, Frau Gertrud Eisemann, als einzige Dame das Hundert-Meilen-Rennen mitmacht. Es ist kein schlechtes Zeichen für die Zukunft der Motorräder, daß auch unsere Damen es benutzen. Autoheil unseren Fernfahrern und fröhliches Gedeihen dem Sport.

*T ext von Hans Dominik aus dem Berliner Lokal-Anzeiger vom Juni 1905,
gefunden von Falko Hennig. Dampfwalze im Chausseebau: Archiv Hennig.

* Falko Hennig lädt am 8. Juni um 21 Uhr ins Kaffee Burger, Torstraße 60, Mitte, zu Radio Hochsee mit dem Thema W.C. Fields. Gastexperte ist Kurt Scheel. Informationen unter www.Falko-Hennig.de

 
 
 
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