Ausgabe 5 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Wohnraum als Ware

Die soziale Spaltung der Stadt spiegelt sich im Wohnungsmarkt

Mit den Statistiken ist das ja so eine Sache: Fast jeder kennt das Bonmot, man solle nur der Statistik vertrauen, die man selbst gefälscht habe. Gleichwohl bilden Erhebungen und daraus resultierende Zahlenwerke die Handlungsgrundlage für politische Maßnahmen. Auch der Wohnungsmarktbericht der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung soll Handlungsbedarf aufzeigen und die Wirksamkeit von wohnungspolitischen Maßnahmen beschreiben. Die Ausgabe 2004, die Zahlen bis zum Ende des Jahres 2003 widerspiegelt, kann daher als statistischer Unterbau einer wohnungspolitischen Zäsur in Berlin betrachtet werden. Sie erfaßt jenen Zeitraum, in welchem der ehemalige Stadtentwicklungssenator Strieder (SPD) die Abkehr von einer mit finanziellen und ordnungspolitischen Instrumenten gesteuerten städtischen Wohnungspolitik propagierte und durchsetzte. Grund genug, einen etwas genaueren Blick auf die veröffentlichten Zahlen zu werfen.

In den ersten Abschnitten faßt der Bericht als Randbedingungen der Wohnungsmarktentwicklung Tendenzen und Phänomene zusammen, die hinreichend bekannt sind (Niedergang des Baugewerbes usw.). Interessanter wird die Lektüre, wenn sich der Bericht der Analyse der Wohnungsbestände sowie den Mieten und Mietern zuwendet. Während der Berliner Wohnungsbestand insgesamt leicht steigt, nimmt er im Bereich der Mehrfamilienhäuser durch erste Abrißmaßnahmen im Plattenbaubereich ab. Deutlich wird zudem, daß zunehmend Wohnungen der Neubauförderprogramme aus den Mietpreisbindungen herausfallen ­ zwischen 2001 und 2003 immerhin 11,4 Prozent des sogenannten 1. Förderweges. Die allgemeine Mietentwicklung verhält sich im Gesamtindex moderat: Die Nettokaltmieten stiegen zwischen 2001 und 2003 um 3,9 Prozent, die Wohnkostenbelastung für Wohngeldempfänger stieg im gleichen Zeitraum um 4,3 Prozent. Gleichzeitig nahm die Zahl der Wohngeldempfänger um beachtliche 22,3 Prozent zu, was aber der im Erhebungszeitraum erfolgten Wohngeldreform zuzurechnen sein dürfte. Also alles im grünen Bereich und Herr Strieder ein umsichtiger Staatsmann?

Schaut man genauer hin und berücksichtigt längere Zeiträume, findet die soziale Spaltung der Stadt auch im Bereich des Wohnungsmarktes ihre Entsprechung. Insbesondere die Sanierung der Ostberliner Wohnungsbestände dürfte dazu geführt haben, daß das Angebot an billigen Wohnungen dramatisch geschrumpft ist. Im Preissegment unter 5 Euro pro m2 fielen zwischen 1993 und 2002 800000 Wohnungen weg, der Mietindex stieg zwischen 1993 und 2003 immerhin um 21,1 Prozent. Hiermit korrespondiert die von den Verfassern der Studie zusammen mit einem Wohnungsportal durchgeführte Analyse des Wohnungsmarktes: Während im Preissegment bis zu 4 Euro pro m2 netto kalt die Nachfrage das Angebot um das Dreifache übersteigt, existieren im Segment von mehr als 6 Euro pro m2 netto kalt doppelt so viele Angebote wie Nachfragen. Auch wenn die für 2002 festgestellte durchschnittliche Mietbelastungsquote von 26 Prozent des Haushaltsnettoeinkommens als moderat anzusehen ist, zeigt sich also, daß zwar für relativ einkommensstarke Haushalte ein großes Angebot bezahlbarer Wohnungen besteht, ärmere Haushalte aber immer größere Probleme haben, eine angemessene Wohnung zu finden.

Der vor kurzem vorgestellte Sozialstrukturatlas Berlins unterstreicht in diesem Sinne, daß sich der Wohnungsmarkt am Bedarf vorbeientwickelt und in wesentlichen Teilen von öffentlichen Transferleistungen an bedürftige Mieter lebt. Wenn Subventionen derart nicht mehr an Vermieter, sondern an Mieter fließen, mag das manchem egal sein. Doch der Spardruck auf die öffentlichen Haushalte, der an die bedürftigen Mieter weitergegeben wird, forciert eine sozialräumliche Entmischung der Stadt ­ man muß als ALG II-Empfänger eben dahin ziehen, wo noch halbwegs moderate Mieten verlangt werden. Derartige Prozesse durch eine vorausschauende, aktive Wohnungsmarktpolitik zu verhindern, war einmal ein Kernelement sozialdemokratischer Stadtentwicklungspolitik ­ aber das ist schon lange, lange her.

Thorsten Friedrich

 
 
 
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