Ausgabe 5 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Leben auf der Visitenkarte

Der Luisenstädtische Park soll „wiederhergestellt" werden

Laut Meldung der Agentur Reuters werden derzeit die heiligen Kühe aus Neu Delhi vertrieben. In Kreuzberg sei das Nischendasein jetzt auch vorbei, wie jemand auf dem Treffen zur Anwohnerbeteiligung am Rande bemerkt. Der neue Wind weht von Mitte, denn Mitte beginnt quasi mitten in Kreuzberg. So kann es einem vorkommen, wenn man sich klar macht, daß direkt hinter dem Künstlerhaus Bethanien, wo Kreuzberg am 36sten ist, da, wo erst vor kurzem ein noch zu Mauerzeiten informell errichtetes Haus Bleiberecht erhielt, daß da schon Mitte anfängt.

Die Wünsche der Anwohner sollen berücksichtigt werden bei der Gestaltung des letzten Abschnittes der Parkanlage, die am ehemaligen Luisenstädtischen Kanal auf Betreiben des Denkmalamtes im historischen Stil seiner Entstehungszeit „wiederhergestellt" wird. Mal trifft man sich zur Bürgerbeteiligung bei der Initiative Mauerstreifen im Open Space des kommunalen Hausprojektes in der Adalbertstraße 32, mal in der Grundschule gegenüber in der Adalbertstraße 53. Beim Treffen im Open Space wird deutlich, daß die Art und Weise, wie hier zur Bürgerbeteiligung aufgerufen wurde, zu wünschen übrigläßt. Ein paar Zettel hatte man aufgehängt in Hauseingängen entlang des ehemaligen Kanals. Die derzeitigen Nutzer der Brache wurden nicht informiert, obwohl es ja ein leichtes gewesen wäre, ein Plakat direkt vor Ort anzubringen. So kam die Bürgerbeteiligung nur schleppend in Gang. Es muß aber Geld zur Verfügung gestanden haben, anders als in Mitte, wo die Bürgerbeteiligung unentgeltlich arrangiert werden sollte.

Die Frage ist nun, wie es kommt, daß in Mitte ­ bei einer Maßnahme, für die 300000 Euro zur Verfügung stehen ­ kein Geld für die Bekanntgabe aufgewendet wird, während es in Kreuzberg, bei einer Maßnahme, bei der nur 100000 Euro zur Verfügung stehen, selbstverständlich gemacht wird?

Ersonnen von Lenné als Infrastrukturmaßnahme für das strukturschwache Gebiet Luisenstadt, sollte der Luisenstädtische Kanal als Warentransportweg die Wirtschaft ankurbeln. Die Rechnung ging in vielerlei Hinsicht nicht auf. Seinen sichtbaren Ausdruck fand das im teilweisen Versanden des Kanals. So wurde der Kanal ­ der mittels der ersten Arbeitsbeschaffungsmaßnahme der Geschichte errichtet wurde ­ auf die gleiche Weise wieder zugeschüttet.

Erwin Barth, der visionäre Sozialreformer und Stadtgartendirektor Groß-Berlins, ergriff 1926 die Gelegenheit, gezielt diesem damals extrem dicht besiedelten Arbeiterwohngebiet einen einzigartigen Park zu schenken. Er ließ den Park in der Versenkung anlegen und erwählte das Engelbecken als natürlich entstandenen See aus Grundwasser zum Zentrum des Ganzen. Ein opulentes Kinderplanschbecken, das direkt neben dem Engelbekken entstand, war ­ wie historische Fotos eindrücklich belegen ­ der absolute Renner unter den Kleinen und sozusagen die Miniaturausgabe von dem, was Barth im Großen nicht verwirklichen konnte.

Barths Anliegen ­ als Vertreter der Volksparkidee ­ war es, Parks nicht wie üblich nur zum Flanieren zu schaffen, sondern den Menschen die Möglichkeit zu geben, unter freiem Himmel aktiv zu werden, auf die Wiese zu gehen, Sport zu treiben. So sollte das Engelbecken nach Barths eigentlichen Plänen ein exotischer Badesee werden, von Palmen umstanden, beheizt mit der warmen Abluft aus der Eisfabrik in Treptow. Doch da den Besuchern der benachbarten St. Michaelkirche der Anblick halbnackter Menschen nicht zuzumuten war, wurde nichts aus dem Badevergnügen für alle. Nachdem der Park mit der Berliner Teilung sozusagen zwischen der Mauer zu liegen kam, ist er heute einer der letzten Orte Berlins, der verdeutlichen kann, daß die Mauer nicht bloß eine Mauer war, sondern zwei: die Mauer im Westen und die Mauer im Osten. An diesem Ort kann man so im wahrsten Sinne des Wortes von Geschichte sprechen.

Nach der Wiedervereinigung wurde der Park wieder ausgegraben, doch fehlte zunächst das Geld für mehr als das. Das Engelbecken füllte sich wieder mit Wasser, und so war die Brache lange Zeit ein verwunschener Ort für Romantiker mitten in der Stadt, der trotz des Fehlens offizieller Pflegemaßnahmen nicht vermüllte, weil die Nutzer selbst für Sauberkeit sorgten. Es gab Veranstaltungen, informelle Gärten, die Anrainer vom benachbarten Kinderbauernhof schnitten Futter für die Tiere, und das Heilehaus, eine Heilpraktikerschule, hielt ihren Anschauungsunterricht über Heilpflanzen hier ab.

Man sollte meinen, eine solche Aneignung des öffentlichen Raums wäre ganz im Sinne von Barth gewesen, das Projekt Kinderbauernhof, das unverständlicherweise so gut wie ohne öffentliche Mittel auskommen muß, könnte man als Weiterentwicklung von Barths Vorstellungen verstehen. Aber es scheint, daß die Verantwortlichen beim Denkmalamt ­ vertreten durch Klaus Lingenauber ­ sehr viel mehr im Sinne des Bundespräsidenten denken, der ja neulich angeregt hat, man möge doch die Klassiker wieder „werkgetreu" inszenieren. Und so sind die bereits neu angelegten Teile des Parks recht streng geraten, und gerade auf spielerische Elemente wie das Planschbecken wurde verzichtet.

Sieht man diese Maßnahme im Gesamt-Berliner Kontext, kommt einem der Tiergarten in den Sinn, für den ja ohne Bürgerbeteiligung bereits beschlossen wurde, Millionen von Euro aufzuwenden, um weite Bereiche des Parks in einen strengen Stil aus einer Epoche der Monarchie zurückzuversetzen, als der Park mit gradlinigen, viel breiteren Wegen durchzogen war. Denn Berlin ist ja, wie es der Chef der Berliner Tourismus Marketing Gesellschaft gegenüber der Morgenpost formulierte, die Visitenkarte Deutschlands, und eine Visitenkarte muß ordentlich und übersichtlich sein.

Doch wie verträgt sich diese Idee mit all den Menschen, denen der Park in seiner jetzigen naturnahen Form besonders ans Herz gewachsen ist? Wie verträgt es sich damit, daß wir in einer Demokratie leben? Käme es uns nicht seltsam vor, jetzt ein Marx-Engels-Denkmal wiederzuerrichten, wenn es schon mal weg ist? Warum gibt es so viel weniger Berührungsängste mit der Monarchie? Wie verträgt sich diese Ausgabe für die Rekonstruktion des Parks zu einer wesentlich pflegeintensiveren strengeren Form mit den leeren Kassen ­ wo gleichzeitig der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf mit dem Slogan „Jeder Bürger kann Meister werden" dafür wirbt, daß die Bürger doch bitte ehrenamtlich die Parks pflegen mögen, weil für die Instandhaltung kein Geld mehr da ist?

Bleibt zu hoffen, daß sich wenigstens beim letzten Bauabschnitt des Parks im ehemaligen Luisenstädtischen Kanal ein sensibler Umgang mit der ganzen Geschichte und den Anwohnern durchsetzen kann.

Ulrike Solbrig

 
 
 
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