Ausgabe 5 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Billiger FIFA-Jakob

Gesucht: 15000 Selbstlose für den Confederations Cup und die Fußball-WM

Im kommenden Jahr findet in Deutschland die Fußball-Weltmeisterschaft (WM) statt. Vom 15. bis zum 29. Juni wird nun – sozusagen als kleine WM mit Generalprobecharakter – der Confederations Cup ausgetragen. Beide sportlichen Großereignisse werden vom Organisationskomitee (OK) Deutschland gemanagt, dem die Aufgabe obliegt, Fans und Spielern Spaß und optimale Spiele zu garantieren, wenn „die Welt zu Gast bei Freunden" sein wird.

Wobei auch die Geschäfte mit Tickets, Merchandising, Touristik, Übertragungsrechten usw. nicht zu kurz kommen dürfen. So verkündete das OK im März 2004, daß Marketing-Experten „allein den Werbewert", der für die zwölf WM-Austragungsorte durch Überlassung der Mittelbande erzielt werden könnte, „auf 500000 Euro pro Spiel bezifferten". Stolz verwiesen die Organisatoren zudem darauf, daß „so früh wie nie zuvor bei einer WM" der illustre Kreis der Partner und Förderer gefunden war. 15 Unternehmen sind offizielle Partner der als Warenzeichen geschützten WM 2006TM, u.a. adidas, Anheuser-Busch, Coca-Cola, Deutsche Telekom, Hyundai, MasterCard, McDonald's. Dazu kommen noch sechs nationale Förderer, darunter die Hamburg-Mannheimer Versicherung und die Deutsche Bahn AG.

„Das Image der WM und das Bild, das Deutschland in der ganzen Welt abgeben wird, hängt ganz besonders davon ab, wie wir auf unsere Gäste zugehen", betont OK-Vizepräsident Wolfgang Niersbach. Und diese Aufnahme hängt neben der deutschen Bevölkerung und dem Team der FIFA vor allem von der „Begeisterung, Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Volunteers", der Freiwilligen ab, die das Organisationskomitee zur Unterstützung vor Ort sucht, denn „gerade die vielen Kontakte mit den Volunteers prägen den Eindruck, den ausländische Besucher vom Gastgeberland mitnehmen" werden.

Für die Betreuung der zahlreichen Stadionbesucher aus dem In- und Ausland, seien es Spieler, Journalisten, Trainer, Funktionäre oder fußballbegeisterte Touristen, sucht das OK seit letztem Oktober 15000 Volunteers für verschiedenste Einsatzbereiche. Diese reichen von der Mithilfe bei der Akkreditierung, Unterstützung der Sicherheits- und Ordnungskräfte, dem Auf- und Abbau bei der Eröffnungs- und Schlußfeier, dem Transport von Materialien und Gästen, der Einlaßkontrolle bis zum Marketing-Controlling. Das heißt, die Volunteers sollen sogar die „Werberechte" der offiziellen Partner und Förderer „schützen" und das Stadionumfeld überwachen, denn dort wird „eine werbefreie Zone geschaffen, in der sich nur diese Sponsoren der FIFA werblich darstellen dürfen".

Die Volunteers sollen im Idealfall fließend Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch sprechen, wegen der positiven Ausstrahlung die beliebten sozialen Kompetenzen mitbringen, die sich in den Eigenschaften „belastbar, diskret, durchsetzungsstark/couragiert, flexibel, freundlich/humorvoll, geduldig, offen/kommunikativ, selbständig, teamfähig und zuverlässig" zeigen. Als günstig werden bei den mit dem vertraulichen Arbeits-Du angesprochenen Bewerberinnen und Bewerbern der Besitz eines Führerscheins für PKW und LKW und die Berechtigung zur Personenbeförderung bis hin zu Internet- und sonstigen Computerkenntnissen betrachtet.

Den professionellen Anspruch an das „Team der Hilfsbereiten" unterstreicht OK-Präsident Franz Beckenbauer, wenn er sagt: „Wir benötigen Fahrer, die ihre Stadt kennen wie ein Navigationssystem, wir suchen sprachgewandte WM-Botschafter, die den Stadtplan auswendig kennen, wir brauchen Medien-Helfer, die praktisch besser als der Journalist wissen, was dieser gerade benötigt."

Wer nun aber auf eine entsprechend honorierte Zeitarbeitsstelle für zumindest ein oder zwei Monate hofft, ist angeschmiert. Die mit immensem Werbeaufwand inszenierte WM-Organisation bietet ihren Helfern nicht einmal die nach Hartz IV vorgesehenen „Ein-Euro-Jobs" als befristete Billigkräfte für gemeinnützige „Arbeitsgelegenheiten".

Neben dem traditionell ehrenamtlichen Bereich, der für kleine Leute unbezahlte Arbeit propagiert, auch wenn diese ansonsten kaum ihren Lebensunterhalt aufbringen können, gibt es bereits seit Jahren einen grauen Null-Euro-Arbeitsmarkt. Dafür werden vor allem in Zeitungen und Stadtmagazinen Praktikanten für begehrte Tätigkeiten wie Designer, Event- oder PR-Manager gesucht, die einiges an fachlicher und sozialer Kompetenz erfordern, aber in der Rubrik „Honorar" das uniforme Bedauern „leider keins" aufweisen.

Dieses Modell „billiger Jakob" kopieren nun Fußballmanager und -funktionäre für die WM 2006. Jedenfalls zeigt die Rekrutierungsaktion unverblümt, wie weit die egoistische Unverschämtheit schon zur gesellschaftlichen Normalität geworden ist. Die „drei lachenden ,Celebrating Faces'", die „Feiernden Gesichter des Fußballs" auf dem WM-Logo strahlen vor allem für eintrittzahlende Zuschauer, die bereit und in der Lage sind, je nach Stadionplatz zwischen 35 und 600 Euro pro Spiel zu zahlen.

Auch das Motto scheint mehr zu meinen: „Die Welt zu Gast bei Geschäfts-freunden", denn selbst bei Ticketverkauf und -kontingentierung wird deutlich, welche Klientel man bevorzugt im Stadion sehen will. So machen die Veranstalter eklatante Unterschiede zwischen dem Normalbürger, der überhaupt erst seit Anfang Februar 2005 an der Ticket-Lotterie teilnehmen kann, und dem Insiderkreis einer zahlungskräftigen „Elite", der die iSe-Hospitality AG als globaler Alleinvermarkter bereits seit Oktober 2004 ein Exklusiv-Programm anbietet ­ mit pauschalen Listenpreisen (zwischen 6554 und 15312 Euro) für sämtliche Spiele eines Ortes.

Infolge dieser Politik wird nur ein Drittel der Fans überhaupt an Karten herankommen. Aber wie so viele Fans werden auch die Freiwilligen „in den allerwenigsten Fällen die Fußball-Spiele verfolgen" können, wie das OK ehrlicherweise einräumt. Und während der Sponsor Deutsche Bahn AG „den Medien-Service mit einer außergewöhnlichen Dienstleistung für Journalisten" unterstützt: „Rund 6000 Berichterstatter erhalten gleichzeitig mit ihrer WM-Akkreditierung die Berechtigung, sechs Wochen lang auf dem gesamten Nah- und Fernverkehrsnetz der Deutschen Bahn individuell und kostenfrei zu reisen", müssen die Volunteers, die auch bei deren Betreuung helfen sollen, ihre Anreise zu den Interviews, sprich Bewerbungsgesprächen, selbst zahlen. Merkwürdigerweise kann in diesen Fällen die Deutsche Bahn nicht einspringen und auch vom Organisationskomitee werden „Reisekosten zu den Interviews nicht erstattet".

Ob für die reizvolle Arbeit als FIFA-Jakob auch ein Freiwilligen-Arbeitsvertrag geschlossen werden soll, der die Volunteers zur Verschwiegenheit über die Höhe ihrer nicht vorhandenen Bezüge verpflichtet, ist noch offen. Die geforderte Diskretion scheint schon deshalb nötig, um Hotel- und Stadiongäste nicht zu verständnislosem Grinsen hinzureißen, daß ausgerechnet in der deutschen Volkssportart, in der aktive Spieler und Trainer fürstlich bezahlt werden, die Kleinen mit Tagesverpflegung, einem Ticket für den öffentlichen Nahverkehr und einem bunten adidas-Dreß als Arbeitskleidung abgespeist werden sollen.

Franz-Josef Paulus

 
 
 
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