Ausgabe 5 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Zusätzlich, gemeinnützig, überflüssig

So schlimm wie befürchtet: Ein-Euro-Jobs in der Praxis

Als die ersten Proteste gegen die sogenannte Agenda 2010 aufkeimten, faselten Politiker, Journalisten und Wirtschaftsvertreter von einem „Vermittlungsproblem". Hätte man dem Volk nur früh genug klargemacht, daß diese Reformen unumgänglich sind, hätte es nicht die Kreuzchen an der falschen Stelle gemacht, wäre nicht auf die Straße gegangen, hätte sich endlich mal am Riemen gerissen. Läßt man die paternalistische Arroganz der „Reformer" mal beiseite, kann die Rede vom ungeschickten Agieren in der regierungseigenen Werbeabteilung nicht ganz von der Hand gewiesen werden: Früher hatten wir so tolle Sachen wie ABM, SAM und IDA – lauter Ausdrücke, die erst gruselig klingen, wenn man die Abkürzungen auflöst und sich fragt, welchen Sinn es machen soll, eine offenbar nicht vorhandene Arbeit zwanghaft zu beschaffen, wer ei-gentlich strukturell woran angepaßt oder in was man mittels Arbeit integriert werden soll. Heute dagegen haben wir Ein-Euro-Jobs. Ehe die Parteistrategen den Euphemismus „Mehraufwandsentschädigung" (MAE) basteln konnten, waren die Ein-Euro-Jobs schon in aller Munde und klangen furchtbar: Für einen Euro arbeiten? – so sehr kann niemandem der Standort Deutschland am Herzen liegen.

Bevor die Berliner Arbeitslosen belehrt werden konnten, daß sie sogar satte eineinhalb Euro pro Stunde bekommen werden, hatten Arbeitsloseninitiativen, Gewerkschaften und linke Oppositionspolitiker viel Zeit, über die Auswirkungen dieser neuartigen Beschäftigungsmaßnahmen zu spekulieren. Einiges davon scheint sich mittlerweile bewahrheitet zu haben: Die Morgenpost berichtete im April, daß die bezirklichen Grünflächenämter dazu übergehen, anfallende Arbeiten von Ein-Euro- Jobbern erledigen zu lassen, und gleichzeitig etwa genauso viele Stellen abbauen. Auch in Schulen werden gerne mal Zwangsverpflichtete eingesetzt: als Hausmeistergehilfen, Bibliothekare oder Computerhelfer. Dort dürfen sie nicht nur die Kleinen beaufsichtigen, sondern auch mal die eine oder andere Renovierung erledigen. Die Industrie- und Handelskammer schlug bereits Alarm, daß so regulär Beschäftigte verdrängt und zudem kleine Handwerksfirmen leer ausgehen werden. Denn daß die Ein-Euro-Jobber tatsächlich ­ wie gesetzlich vorgeschrieben ­ nur gemeinnützigen und zusätzlichen Tätigkeiten nachgehen, ist schwer kontrollierbar. Selbst wenn das Anstreichen eines Klassenraumes nicht unbedingt notwendig für den Schulbetrieb sein mag, ist absehbar, daß dafür nicht ­ wie sonst ­ irgendwann eine Firma beauftragt wird, die im alten Stil Angestellte anrücken läßt.

Es scheint sich mittlerweile die Praxis durchzusetzen, erst reihenweise angeblich überflüssige Mitarbeiter rauszuschmeißen, um dann für dieselben Tätigkeiten Ein-Euro-Jobber einzustellen mit der Begründung, diese Arbeit sei doch irgendwie zusätzlich, weil sie von den eigenen Angestellten nicht mehr erledigt werden könne. Für Landes- und Bezirkseinrichtungen bringt das zudem den Vorteil, daß die Arbeiter vom Bund und nicht mehr aus dem eigenen Haushalt entlohnt werden ­ eine neue Art des Länderfinanzausgleichs: Schwäbische Steuerzahler finanzieren die Säuberungen Berliner Parks.

Ebenfalls im Visier der Reformgegner sind die Vorgehensweisen der Beschäftigungsträger. Auch das ist keine wirkliche Überraschung: Wenn man die Vermittler bis zu 500 Euro monatlich pro Ein-Euro-Jobber kassieren läßt ­ nur etwa 180 davon bekommt der Arbeitslose ­, darf man den Berichten, daß einige Träger schlicht die Kohle kassieren und die Arbeitslosen derweil blöd rumsitzen lassen, ruhig Glauben schenken. Das hat immerhin auch für die Ein-Euro-Jobber den Vorteil, daß sie ihren Lohn ohne Arbeit einstreichen können. Daß die Beschäftigungsträger tatsächlich eine so große Summe für die Verwaltung und Qualifizierung der Zwangsverpflichteten benötigen, scheint ebenfalls unglaubwürdig, zumal viele Ein-Euro-Jobber davon berichten, daß sie keine Kurse angeboten bekommen, sondern stattdessen gemäß ihrer in früheren Jobs erlangten Qualifikation eingesetzt werden oder sich sogar selbst eine Beschäftigung suchen dürfen.

In Berlin hat man schon über ein Viertel der 40000 bis Jahresende angestrebten Ein-Euro-Jobs eingerichtet. Wer sich als Arbeitsloser jetzt die Chancen ausrechnen möchte, weiterhin vom Amt in Ruhe gelassen zu werden: In Berlin empfangen derzeit etwa 200000 Menschen Arbeitslosengeld II und sind damit mögliche Kandidaten für einen Ein-Euro-Job. Auf der anderen Seite hat man natürlich die ebenfalls nicht auf Freiwilligkeit beruhenden Maßnahmen wie ABM (Arbeitsbeschaffungsmaßnahme), GZA (gemeinnützige und zusätzliche Arbeit), IDA (Integration durch Arbeit) usw. heruntergefahren. Doch wurde schnell deutlich, daß hier nicht nur eine gängige Praxis unter neuem Namen fortgeführt wird. Zu einem Ein-Euro-Job verpflichtet zu werden, ist deutlich unangenehmer als zum Beispiel in eine ABM gesteckt zu werden. Als ABMler hat man nicht nur Anspruch auf bezahlten Urlaub, man kann außerdem noch ausgiebig krankfeiern, während die Ein-Euro-Jobber nur für die Stunden entlohnt werden, die sie tatsächlich ableisten. Es soll sogar Fälle geben, in denen sie die Ausfallzeit am Ende der Maßnahme noch nachholen müssen. Wer die Einladung zu einem Ein-Euro-Job ablehnt, muß übrigens mit einer 30prozentigen Kürzung seines Lebensunterhalts rechnen, Wiederholungstäter sollen lediglich noch die Miete finanziert und Lebensmittelgutscheine bekommen.

Wenn also demnächst diese Regierung wiedergewählt werden will, muß sie sich schon sehr anstrengen, diese Reform dem Wahlvolk als gelungen zu vermitteln. Vielleicht könnte sie zur Erfindung notwendiger verschleiernder Formulierungen ja noch ein paar Ein-Euro-Jobber einstellen. Diese Arbeit wäre dann auch wirklich zusätzlich, wenn nicht gar überflüssig.

Susann Sax

* Seit Anfang des Jahres unternimmt die Berliner Gruppe no service Spaziergänge zu verschiedenen Beschäftigungsträgern und anderen Einsatzorten von Ein-Euro-Jobbern. Ihr Ziel ist, Informationen über die konkreten Arbeitsbedingungen der arbeitslos Arbeitenden einzuholen, vor Ort mit den Betroffenen zu diskutieren und Möglichkeiten des Widerstands auszuloten. Die Protokolle der bisherigen Ein-Euro-Spaziergänge sind nachzulesen unter www.labournet.de/diskussion/ arbeit/aktionen/berlinsp05.

* Die nächsten Spaziergänge starten am 14. und 28. Juni jeweils um 11 Uhr vor dem A6-Laden in der Adalbertstraße 6, Kreuzberg.

Illustration: robin-cottage.de

 
 
 
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