Ausgabe 4 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Wir sind zwischen den Zeilen

Die Gedichte sind das eine: Die lyrische Frühjahrskollektion 2005 startet durch

Thalmayr/Enzensbergers Erstehilfebuch für den Schulgebrauch Lyrik nervt hatte seinen Grund. In Deutschland least man mehr, als daß man sich Gedichte auf den Nachttisch legt oder unter das Kopfkissen. Mehr als das ständige Gerede um die Krise der Lyrik jedoch nervt die Demut der Produzenten, die sich allzugern als eine vom Aussterben bedrohte Art ansehen und freiwillig zoologisiert haben als feingliedrige besonders duftende Tiere. Der Platz des Lyrikers hierzulande ist hinter Glas oder im Gehege, wo er sich gern bestaunen läßt: Füttern verboten!

Man kann sich den Lyriker aber auch als Hungerkünstler vorstellen, wie ihn Kafka beschrieben hat, als eine kurzweilige Attraktion auf dem Jahrmarkt oder vor einem Zirkuszelt. Gäbe es da nicht den Literaturbetrieb, der schützend die Hand über seine Schäfchen hält, die Schlechtbesten ins Töpfchen, die anderen... Wer jetzt kein Stipendium hat, wird keins mehr kriegen. Das reicht bis in die lyrische Altersarmut der schreibenden Verleger und Kimonoträger, das geht bis ins Spätwerk nach Frankfurt zu Mainachten. Der Lyriker in deutschen Ländereien erhält die Pensionierung postum, und wer dann noch schlecht über ihn redet, soll sich was schämen! Von den Lesern gar nicht zu reden, die in andere Sprachen ausgewandert scheinen. In den Versen Gerhard Falkners ­ „...die Deutsche Inge/mit ihrem Stecknadelgesicht/ihrem im Wohlstand gesottenen Spatzenhirn/findet Gedichte entweder total spannend/oder manchmal echt ätzend" ­ ist es auf den Punkt getroffen: Danke, es reicht! In diesem Spannungsfeld (zwischen gähnender Langeweile und einem Jetztodernie) muß also das zeitgenössische Gedicht seine Lebensfähigkeit auch gegen die Häme rückgebildeter Feuilletonisten beweisen, aber wie? Wie der Berliner Lyriker Björn Kuhligk (geb. 1975), der seinen dritten Gedichtband Großes Kino betitelt hat ­ und das vielleicht nicht ganz so glücklich, weil der Titel doch ein wenig in die Irre führt. Denn Kuhligks Gedichte haben mit den konsistenten Gefühlen inszenierter Hollywood-Sonnenuntergänge nichts gemein. Im Gegenteil: Kuhligks Großes Kino findet irgendwo in der Neuköllner Ghettowelt statt, wo nicht nur die „Altersarmut Platz nimmt". Kuhligk schreibt pointierte Selbst- und Fremdporträts im Augenblick des eigenen Erlebens und Erfahrens, in den Momenten eines emotional-intelligenten Begreifens, das ein Moment der Wahrheit der eigenen Schritte ist: „und das Lieblingstier/das ist der Affe im Zoo/den kannst du besuchen/und er dich nicht". Björn Kuhligk ist zudem ein Meister feingewebter Liebesgedichte, die nicht ohne Pathos ein Sentiment beschwören, das Momente der Schönheit zur Sprache kommen läßt: „der Himmel hängt heut tief, ich zeig dir/in der Zeitung einen Schwan/und denk daran, mich zu verrücken/du sprichst von einer Möglichkeit".

Im Gegensatz zu einem Großteil seiner jungen Dichterkollegen scheut sich Kuhligk jedoch nicht vor den deformierten Wirklichkeiten dieses Landes, den Verwerfungen einer globalisierten Welt. Einen Großteil seiner Gedichte muß man auf der Höhe der Zeit nennen, da ihr Blick nicht im Elfenbeinturmzimmer verharrt, sondern ins Offene streift, in das sprichwörtliche Mißlingen der Gegenwart, wie wenn Kuhligk imaginär „Mit Fauser im Nachtbus" durch das nächtliche Berlin streunt: „,Zeigen Sie das mal Ihrer Frau. Es sieht gut aus und kostet nichts.'/was und/welcher Boden soll da noch kommen, WORAUF/WARTEN, AUF DEN IRREN BOMBER/DER UNS ALLE/ WECKT, mit den Helden der Schlußverkäufe/möchte man ins Meer getreten werden".

Das Meer wiederum ist ebenso ein zentrales Motiv in den Gedichten von Thomas Kunst. Nicht umsonst heißt der Band des 40jährigen Leipziger Ausnahmedichters was wäre ich am fenster ohne wale. Kunst, der bereits in den Gedichtsammlungen zuvor sein großes Können unter Beweis stellte, hat seine maritim-poetischen Erkundungen fortgeschrieben. Es sind die feinfühligen Erkundungen erweckter Körper, eine Art lyrische Kalligraphie des Verlangens zwischen Anziehung und amour fou: „Die Brandung ist das eine./Das Saufen ist das eine. Die Musik/Ist das eine. Die Frauen sind das/eine. Die Kinder sind das eine. Die/Gedichte sind das eine. Die schönen,/Vertrockneten Gedichte, die mutwillig/Schönen, die niemand mehr will. Aber ich/will sie. Und ich werde sie euch/ Zurückbringen..." Thomas Kunst bringt sie zurück, die mutwillig schönen Gedichte, auch um den Preis des Selbstreferentiellen, einer mitunter überflüssigen Privatheit. Trotzdem kommt man nicht umhin, von der Berücktheit seiner lässig-verspielten Sonette liebkost zu werden, um dann auf den Strand hart aufzuschlagen: „Du hast das Meer in meinem Tagebuch/Auf zwölf geschätzt, von mir aus, laß es lieber."

Anders der 1970 in Lüneburg geborene Autor Florian Voß, dessen Debütband Das Rauschen am Ende des Farbfilms eher altertümliche, manchmal fast antiquierte Töne anklingen läßt. Voß hat allen Nachmodernen und Avantgarden abgeschworen und schreibt Gedichte, die in der Tradition dunkler Bildwelten à la Trakl stehen und den morbiden Gesten des Expressionismus abgelauscht sind. Allemal bemerkenswert ist seine Winterreise-Bearbeitung nach Texten von Wilhelm Müller: „Mein Geburtshaus ist entkernt/Ich spreche keinen Dialekt//Zuhause bin ich ausgezogen/Nach Hause kehr ich wieder ein...". Die Gedichte des Bandes sind auf der Suche nach einem inneren Zusammenhalt. Leider geschieht dies nicht immer mit ästhetisch schlüssigen Mitteln. Moderne hin oder her, der Arbeit am Wortwerk hätte es bei einer Reihe von Gedichten stärker bedurft. Schöne Zeilen finden sich jedoch hier und da: „Am Morgen/unter einem blanken Himmel/ist es ein Leichtes/dem Tod/in die Gedichte zu schreiben...", so daß man Florian Voß und seinen Gedichten eine zweite Chance einräumen möchte.

Unter den jüngeren Dichtern des deutschsprachigen Raums nimmt Gerald Fiebig (geb. 1973) eine besondere Rolle ein, die eines lo-fi-poets mit Akustikset und Verzerrer. Fiebigs neues Opus geräuschpegel kommt zwar noch ohne Karaoke-CD aus, aber dafür mit der richtigen Anleitung daher: „wir sind maistonträger. wir essen uns auf." Fiebig verknüpft gekonnt die Attitüde des Pop mit dem Understatement des Gedichte-Machens. So entstehen luzide Textgebilde, durch die man passagenartig hindurchgehen kann. Der Alltag als Ausgangspunkt des Schreibens ist bei Fiebig immer ein sozialer und politischer Moment, in den er seine Leser mitnimmt: „im blaulicht der nichtschwimmerbecken/zittern die bilder von menschen, die trinken/bier am rand des wassers & warten/darauf, daß die sonne verschwindet/& die geschichte beginnt." Dabei ist Fiebigs Blick ein treffend genauer mit großer Brennweite, der uns die Erschütterungen einer turbokapitalistischen Gegenwart nur zu deutlich sichtbar macht. Und eines bleibt: Gedichte sind Kassiber, die hinausgeschmuggelt werden müssen. Oder wie der Dichter Fiebig schreibt: „& die räuber sind wir selbst & wir sind zwischen den zeilen."

Tom Schulz

* Björn Kuhligk: Großes Kino. Berlin Verlag, Berlin 2005. 16 Euro

* Thomas Kunst: was wäre ich am fenster ohne wale. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2005. 15,90 Euro

*Florian Voß: Das Rauschen am Ende des Farbfilms. Lyrikedition 2000, München 2005. 10 Euro

* Gerald Fiebig: geräuschpegel. Yedermann Verlag, München 2005. 10 Euro

 
 
 
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