Ausgabe 4 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

musik für die massen

Feinarbeit

Es liegt in der Natur der Dinge, daß ein Remix-Album Strukturen, Elemente und Feinheiten freilegt und mit diesen spielt. Idealerweise sprengt die Variation dann nicht das Original, sondern begnügt sich mit wohldosierten Erweiterungen. Spielerisch und leicht entspricht die neue CD von Lali Puna I Thought I Was Over That (Morr Music) diesem Ideal. Nun bieten die elektronischen Indiepop-Songs von Lali Puna auch viel Spielraum für Coverversionen und Überarbeitungen. Aber das Album zeigt noch eine andere Qualtität von Lali Puna: In einer Art doppelter Rückkoppelung finden sich hier nicht nur Remixe von Lali Puna, sondern umgekehrt liefert die Band auch Interpretationen, die sie für andere Musiker arrangiert haben. So sind auf die eine oder andere Art Werke von To Rococo Rot, Two Lone Swordsmen, Dnetel und anderen Musikern vertreten. Und weil das Ganze offensichtlich recht viel Spaß gemacht hat und Räume öffnete, finden sich auch noch einige neue Songs von Lali Puna.

Ähnlich lustvoll und konsequent verfolgt das Projekt Rhythm&Sound seine musikalische Vision. Hinter diesem Dub- Techno-Projekt verbergen sich die beiden Berliner Mark Ernesto und Moritz von Oswald. Seit rund zehn Jahren gestalten und prägen die beiden mit Projekten und Labels wie Basic Channel, Burial Mix oder Maurizio die Entwicklung der elektronischen Musik. Mit Liebe zum Detail produzieren sie in Zusammenarbeit mit einer ganzen Reihe von Reggae-Vokalisten tranceartige Hybride zwischen Reggae, Dub und Techno. Glücklicherweise sind ihre Songs dabei weit entfernt vom Kiffer-Gute-Laune-Reggae. Vielmehr entfalten sie durch ihre formale Strenge eine regelrecht kontemplative Gesamtstruktur. See Mi Yah (Burial Mix) ist ein klassisches One-Riddim-Album: Ein Track ­ ein Sänger ­ eine Modifikation des gleichen Songs ­ ein anderer Sänger. Das Ganze zehn Mal hintereinander. Dabei handelt es sich natürlich nicht um den Loop des Ewiggleichen, sondern um Modulation, um Arbeit an den Feinheiten. Was Morandi mit seinen Stilleben und den Variationen um die immer gleichen Vasen und Flaschen in der Malerei war, ist Rhythm&Sound auf ähnliche Weise in der Musik.

Zu einer Art Forschungs- und Fortschreibungsprojekt hat sich das Duo Tarwater entwickelt. Da gibt es auf der einen Seite auch hier streng repetitive elektronische Strukturen, kombiniert mit Gesang und klassischer Baß-Gitarre-Schlagzeug-Instrumentierung. So erweitern Tarwater das, was mal unter Kraut- und später unter Postrock vermarktet wurde. The Needle Was Travelling ist die erste Platte, die die Berliner Bernd Jestram und Ronald Lippok nach ihrem Abschied von Kitty-Yo bei Morr Music veröffentlicht haben. Mit einer ganzen Reihe von Gastmusikern wie Schneider TM oder Rechenzentrum erforschen sie mit groovender Elektronik und leicht verschachtelten, aber nie komplizierten Kompositionen die Gebiete unmittelbar an der Grenze zu den Ohrwürmern. Auf jeden Fall ein feines Album.

Marcus Peter

 
 
 
Ausgabe 4 - 2005 © scheinschlag 2005