Ausgabe 4 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Jagd frei auf „Sprühterroristen"

Geschickt inszenierte Law&Order-Politik

Mit „da hilft nur noch Hubschraubereinsatz, Hubschraubereinsatz" karikierten vor gut zwanzig Jahren Foyer Des Arts die innerstädtische Ordnungspolitik. Nun erweist sich das Lied als geradezu visionär. Um den 7. April herum wurden Tausende Berliner und Kölner von nächtlich knatternden BGS-Hubschraubern um den Schlaf gebracht, weil man erstmalig aus der Luft Jagd auf Graffiti-Sprayer machte. Daß gleichzeitig im Roten Rathaus die „1. internationale Anti-Graffiti-Konferenz" stattfand, war natürlich kein Zufall.

Der Berliner Nofitti e.V. hatte zahlreiche Graffiti-Erzürnte ins Rote Rathaus geladen, darunter Fassadenschutz-Strategen aus Los Angeles, Helsinki, Oslo und Kopenhagen. Experten, die sich sozialpädagogisch oder kunstgeschichtlich mit der Sprayer-Kultur auseinandersetzen, waren nicht dabei ­ Tagungsinhalt waren ausschließlich Maßnahmen zur Bekämpfung von Graffiti.

Der aufrufende Verein, der auch als „Bürgerinitiative zur Rettung des Berliner Stadtbildes" firmiert, beklagt den „Niedergang der Städte und Gemeinden" und sieht rechtschaffene Bürger regelrecht diskriminiert durch den Anblick einer „den Stadtraum überziehenden, buntgiftigen Hülle von Schmierereien". Das Bemalen fremden Eigentums wird zur „vorsätzlichen Unterminierung des Gemeinwesens und der Demokratie" aufgeblasen.

Der Kopf von Nofitti ist Karl Hennig, Ostberliner CDU-Politiker seit 1970 und vor sieben Jahren dadurch aufgefallen, daß er die Sachbeschädigungen vom 1. Mai als „Rote Kristallnacht" bezeichnete. Bei Interviews zeichnet Hennig nun ein Bild vom „Graffiti-Vandalismus" als Ausgangspunkt städtischer Verwahrlosung und präsentiert sich als Anwalt der „verantwortungsbewußten Berliner", die selbstverständlich Graffiti „satt" hätten. Zudem referiert er gern über den „harten Kern" der Graffiti-Szene, der „zum Teil äußerst brutal und mitunter bewaffnet" agiere, und über die mit dem Sprühen verbundene „Beschaffungskriminalität" ­ ein gekonnter assoziativer Brückenschlag zur Drogenszene.

Kein Wunder, eignen sich die anonymen Sprayer ­ immer wieder als „Sprühterroristen" diffamiert ­ doch hervorragend als Feindbild, auf das sich allerlei Ängste über das Auseinanderfallen gesellschaftlicher Sicherheiten und bürgerlicher Ordnung projizieren lassen. Graffiti-Aktivismus definiert sich geradezu darüber, die herrschenden Regeln, wer wie den Stadtraum gestalten darf, zu mißachten. Was bei Werbeflächen gegen Bezahlung absolute Normalität ist, nehmen sich Sprayer einfach ungefragt: Flächen im öffentlichen Raum werden bemalt, angeeignet, um die eigene Botschaft, den eigenen Namen zu verbreiten. Graue Betonwände werden ebenso zu schillernd-scheckigen Oberflächen umgewidmet wie die sterilen neuen Innenstädte und schick-modernisierten Wohnviertel, die so um ihren gentrifizierenden Mehrwert gebracht werden.

„Graffiti ist ein Problem, weil es die Bahn, das Einkaufszentrum, die Stadt daran hindert, sich als sauber und sicher zu präsentieren. Kaufkraft und Investition brauchen eine gepflegte Ordnung, um sich der Abwesenheit von Schmutz, Schmierereien und Armut, also allem Nichtkompatiblen und Subversiven, zu versichern", schreibt die Gruppe Graffiti hates Germany in ihrem Demo-Aufruf gegen die Anti-Graffiti-Konferenz.

Beim Kampf um weiße Wände und konsumkonforme Innenstädte erhält Nofitti Schützenhilfe von jenen, die jeder nur erdenklichen Ermächtigung von Staat, Polizei und Justiz im Sinne der „Inneren Sicherheit" das Wort reden. Wolfgang Bosbach (CDU) fordert, die „Graffiti-Seuche" mit Hilfe des „starken Staats" einzudämmen. Innenminister Otto Schily (SPD) greift ebenfalls in die Mottenkiste der Hygiene-Metaphern und schickt gegen die „Krankheit" Graffiti seine Hightech-Hubschrauber. Die Gewerkschaft der Polizei fordert härtere Strafen gegen die „unerträgliche Zerstörung privaten und öffentlichen Eigentums" und schürt Ängste, etwa, daß sich Kinder an den Aerosol-Chemikalien vergiften könnten.

Boulevardpresse und sich bürgerlich-seriös gebende Zeitungen wetteifern geradezu darum, im großen Chor Stimmung gegen Graffiti zu machen. Der Tagesspiegel z.B. ist sich nicht zu schade, die Broken-Windows-Theorie (wo Graffiti sind, geht bald alles den Bach runter) ins Feld zu schicken, und beruft sich auf die gefühlte Unsicherheit, die Menschen beim Anblick von Graffiti befalle. Alles in allem wird anhand eines nebensächlichen Themas ein erheblicher Handlungsdruck konstruiert, dem sich die Legislative kaum entziehen kann. Umgekehrt kann die Bundesregierung wiederum jene öffentlichkeitswirksame Handlungsfähigkeit demonstrieren, die ihr seit langem angesichts von Arbeitsmarktchaos, Bildungsmisere und Haushaltsschieflage abhanden gekommen ist.

Die wenigen Skeptiker härterer Stra-fen in der rot-grünen Koalition kippen um, und fertig ist die Gesetzesverschärfung. Künftig soll jede Sprüherei strafbar sein, die das Erscheinungsbild einer Sache „nicht unerheblich" verändert. Bisher mußte für einen Strafprozeß eine Sachbeschädigung, also eine Verletzung der Substanz nachgewiesen werden. Neben zivilrechtlichen Klagen auf Erstattung der Reinigungskosten müssen Sprayer jetzt vermehrt Geldstrafen, einen Eintrag ins Vorstrafenregister und Knast befürchten. Aber ist von der leichteren Strafbarkeit eine konkrete Abschreckung zu erwarten?

Kenner der Graffiti-Szene bestreiten das. Gilt der Kitzel des Illegalen, das Austricksen von Wachschutz und Polizei doch als wesentliche Motivation vieler Sprayer. Bisher hatte man sich auf die Taktiken der anderen Seite immer einstellen können: Häufigeren Kontrollen wurde mit schnellerem Sprayen begegnet. Als „gebombte" Züge schneller aus dem Verkehr gezogen wurden, dokumentierte man die Graffiti zunehmend per Foto im Internet. Auf das Entfernen von „tags" in Zügen wurde mit dem beständigeren „scratching" der Scheiben geantwortet.

Wer erwartet, ein erhöhter Verfolgungsdruck würde Graffiti eindämmen können, unterschätzt vor allem die Integrationskraft einer Jugendkultur, wie sie Graffiti als Teil der Hip-Hop-Kultur darstellt. Das Maß an Anerkennung und Bestätigung, das viele Jugendliche hier geboten bekommen, findet sich woanders nicht so leicht. Zudem sind Graffiti ein geeignetes Ventil, um Frust und Aggressionen abzureagieren und für sich positiv zu wenden. Dabei sind die gesellschaflichen Folgen, verglichen z.B. mit der gewalttätigen rechten Jugendkultur, die sich immer mehr ausbreitet und festsetzt, doch relativ harmlos.

Tobias Höpner

 
 
 
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