Ausgabe 3 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Als die Haustiere durchdrehten

Der Kalte Krieg im Himmel über Westberlin

Nicht lange nach dem Mauerbau eskalierte die Situation in der Stadt erneut. Längst war es gang und gäbe geworden, daß Osten und Westen gleichermaßen gegen das Vier-Mächte-Abkommen, das den Status Gesamtberlins regelte, verstießen. In Ostberlin paradierten unbeirrt vom Protest der Westmächte Kampfgruppen der DDR-Streitkräfte, und die Russen verabschiedeten sich aus dem Kontrollratsgebäude an der Potsdamer Straße in Schöneberg, dem ehemaligen Gebäude des „Volksgerichtshofes" und bis dahin letzten noch verbliebenen gesamtalliierten Gremium. Ostberlin war nun „Hauptstadt der DDR" und Westberlin „selbständige politische Einheit".

Das hinderte die Bonner Regierung nicht daran, Westberlin als eine Art Bundesland der BRD zu behandeln. Nun sattelte der Westen mal wieder eins drauf. In einem wiederhergestellten Teil der Reichstagsruine versammelte sich der Bundestag zu einer Sondersitzung, um so die Anbindung Westberlins an die BRD zu demonstrieren. Der Protest des Ostens wurde ignoriert. Da hatten die Russen die glorreiche Idee, von ihrer Lufthoheit über Westberlin, die sie gemeinsam mit den Westalliierten besaßen, ausgiebigst Gebrauch zu machen. Dutzende von russischen Düsenjägern überflogen nun Westberlin und durchbrachen dabei im Tiefflug die Schallmauer. Es war die Hölle. Alle paar Minuten knallte es ohrenbetäubend über der Stadt. Haustiere drehten durch, unzählige Fensterscheiben zerbarsten; es regnete Scherben in Wohnungen, auf Höfe, auf die Köpfe von Leuten, Dachziegel wirbelten durch die Luft. Scharenweise wurden Leute in die Krankenhäuser oder in die Psychiatrie eingeliefert. Am härtesten traf es die durch die Bombenangriffe des Krieges traumatisierten Menschen, und davon gab es nicht wenige. Ironischerweise betraf der Lärmterror Gesamtberlin. Was die Zuneigung der Ostberliner zu „ihrer" Besatzungsmacht nicht eben steigerte.

Der Spuk fand ein jähes Ende, als eine russische MIG im Norden Westberlins in den Stößensee stürzte. Was der Pilot nicht überlebte. Am nächsten Tag gaben die Russen eine Erklärung heraus, in der der Flieger posthum zum Helden der Sowjetunion gemacht wurde. Er hätte unzähligen Westberlinern das Leben gerettet. Denn als seine Turbine aussetzte, hätte er das Flugzeug in den Stößensee gelenkt, um nicht in der dichtbesiedelten Innenstadt abzustürzen. Dabei hätte er heldenhaft sein Leben geopfert. Wirklich erstaunlich, wie er den winzigen Stößensee getroffen hatte – mit einer MIG 15, die antriebslos wie ein Stein abzustürzen pflegte. Die Spatzen pfiffen es von den Dächern: Der Schleudersitz war seinem Namen nicht gerecht geworden. Nun stak der Flieger im flachen Wasser, nur ein paar Meter neben der Stößenseebrücke, auf der die Heerstraße die kleine Havelausbuchtung überquert. Das Leitwerk des Düsenjägers, mit einem großen roten Stern darauf, ragte aus dem See. Was für ein Anblick! Die Engländer, zu deren Sektor Spandau gehörte, hatten die Absturzstelle abgesperrt. Doch auf der Brücke gab es nur Logenplätze. Tout Berlin spazierte zum Schauplatz. Wir, mein Vater und ich, natürlich auch. Unmengen von russischen Offizieren mit bratpfannengroßen Mützen wuselten herum und mußten sich hämische Witze der Westberliner anhören. Zum Beispiel den: „Können Sie mir mal sagen, wie spät es ist?" – „Danke. Ich wollte nur mal sehen, ob meine Uhr noch geht, die ihr mir 1945 geklaut habt."

Norbert Knofo Kröcher

 
 
 
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