Ausgabe 3 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Das Ornament der Menschenmenge

Ein Dokumentarfilm rückt die Statisten im neuen Berlin ins Bild

Woran denken Sie beim Titel Unternehmen Paradies? An ein Strategiespiel oder vielleicht an einen eher mittelmäßigen Abenteuerfilm mit exotischen Schauplätzen, in dem irgendetwas erobert werden muß? Völlig daneben. Es sei denn, Berlin ist exotisch, also fremd für Sie.

Genau das ist der Ansatz von Volker Sattel, dem Regisseur des Dokumentarfilms Unternehmen Paradies, der damit seinen ganz eigenen Blick auf die Stadt zeigt. Der Film hatte im Rahmen der Reihe „Perspektive Deutsches Kino" auf der Berlinale schon 2003 Premiere. Damals wurde ihm viel Beachtung zuteil. Dennoch brauchte es noch einmal zwei Jahre, bis sich ein Verleih fand. Das liegt zum einen daran, daß Sattel den Film ohne Förderung gedreht hat, zum anderen daran, daß der Film eher sperrig geraten ist. Denn Sattel läßt einfach Bilder sprechen, die – geschickt montiert – auch ohne Kommentare oder Originaltöne eine Geschichte von der Stadt und ihren Bewohnern erzählen.

Man sieht zunächst eine Fahrt durch eine Vorortsiedlung an einem Sommermorgen. Die Menschen frühstücken, holen in sehr salopper Kleidung ihre Zeitung oder sprengen den Rasen. Ein harter Schnitt, und man findet sich auf der Baustelle Potsdamer Platz wieder, genauer: an einem Cola-Automaten. Oder es werden aufsteigende Vogelschwärme am Berliner Dom mit einer auseinanderstrebenden Menschenmenge bei der Kreuzberger Maidemonstration kontrastiert. Verschiedene Aufläufe zu Staats- besuchen und Touristenmassen im Sonycenter treffen auf die Zuschauer einer Erotikmesse. Alles Ereignisse, die auch sonst in den Medien reflektiert werden, nur ist hier der Gegenstand das Publikum. Putin und Diepgen beim Staatsbesuch sind da weit weniger interessant als die Sicherheitsleute oder Limousinenfahrer und ihr Verhalten am Rande. Indem die Kamera ihren Fokus nur ein Stückchen verrückt, zeigt sie ein anderes Bild der Stadt und ihrer Menschen. Es ist ein sehr distanziertes, gleichzeitig aber auch vertrautes. Denn es spiegelt das wider, was die Normalbürger von derartigen Ereignissen mitbekommen. Dazu puckert unaufdringliche Musik.

„Ich wollte weniger ein Porträt über Berlin drehen, vielmehr ging es mir um die urbanen Muster und Mechanismen im allgemeinen. Mein Ziel war es, Strukturen des städtischen Umfelds und die Verbindungen der Menschen mit dem urbanen Raum sichtbar zu machen", sagt Volker Sattel selbst über seinen Debütfilm. Obwohl das sehr nach Stadtsoziologie-Seminar klingt, der Film hat nichts davon.

Die meisten Aufnahmen stammen schon aus dem Jahr 2000 und haben so beinahe schon einen historischen Wert. Damals war der Potsdamer Platz noch nicht vollendet, am Brandenburger Tor wurde gebaut, es gab noch mehr Brachen als heute. Aber Sattel geht es offensichtlich nicht um diese bauliche Entwicklung, sondern um die Menschen, die sich in diesen Räumen bewegen und um urbane Panoramen.

Irgendwann entwickeln diese Bilder einen eigenen Sog, dem man sich nicht entziehen kann und will. Und wer sich darauf einläßt, dem erzählen die Bilder von der Stadt und ihren Bewohnern, als sie noch mehr im Werden war als jetzt. Der Titel ist also eine Anspielung darauf, daß die Stadt auch ein Ort der Träume ist, von der großen Chance, der Selbstverwirklichung oder was auch immer die Leute hierherzieht.

Ingrid Beerbaum

Der Film „Unternehmen Paradies" von Volker Sattel läuft seit Ende März im Kino in den Hackeschen Höfen.

 
 
 
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