Ausgabe 3 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Der schwerste Platz des Reiches

War Hitler ein Berliner? Hat es ihm eigentlich gefallen in unserer schönen Stadt?

Daß er mit seinem Buch einem Markttrend hinterherhechelt, versucht der Autor gar nicht erst zu verbergen. Schon im ersten Satz seines Vorworts nimmt Sven Felix Kellerhoff, ein Journalist der übleren Sorte bei der Springer-Welt, der sein Publikum bereits mit einem Buch über den Mythos Führerbunker beglückt hat, bezug auf den populären Film Der Untergang, in dem der „Führer" jetzt endlich Kinoheld werden, „als Mensch" dargestellt werden durfte und nicht bloß aus alten Filmdokumenten Hitlerreden bellen. So weit ist es nun gekommen im Schröder-Deutschland: die letzten überlebenden Zwangsarbeiter erfolgreich über den Tisch gezogen, die Vergangenheit im Monsterkitsch des Holocaust-Mahnmals entsorgt; wir sind wieder wer und wollen unseren Adolf zumindest als Pop-Ikone wiederhaben.

Was aber, wenn sich herausstellen sollte, daß Hitler Berlin, seinen Hauptwohnsitz in den letzten zwölf Lebensjahren, gar nicht so richtig mochte? Wäre das zu verkraften in einer Stadt, deren Selbstbewußtsein so angekränkelt ist, daß die Boulevard-Journaille immer gleich Jubelschreie ausstößt, wenn ein Schlagersänger oder ein Schmierenkomödiant aus Hollywood etwas Nettes über die Stadt sagt?

Kellerhoffs Buch Hitlers Berlin. Geschichte einer Haßliebe verspricht nun eine Aufklärung dieses Verhältnisses ­ ein falsches Versprechen. Denn sehr viel mehr, als bereits aus den vier auf der Umschlagklappe aufgelisteten Hitler-Zitaten hervorgeht, erfährt man auch bei der Lektüre des Buches nicht. Kellerhoff zeichnet stattdessen reichlich dröge die hinreichend bekannte Biographie des Führers ab 1916 und die Geschichte der NS-Bewegung in der Reichshauptstadt nach, listet akribisch die Adressen der NSDAP-Büros und der Goebbels-Privatwohnungen, schließlich die Bombardements in den letzten Kriegsjahren auf.

Zu einer Bewertung von Hitlers Berlin-Bild kommt er nicht, schafft es anders als Brigitte Hamann in ihrer umfangreichen Studie Hitlers Wien. Lehrjahre eines Diktators auch nicht, die Bedeutung der Stadt für den bekanntesten Österreicher darzulegen. Zu den verstreuten, recht widersprüchlichen Äußerungen Hitlers über Berlin fällt Kellerhoff nur ein, daß der NSDAP-Chef ja überhaupt ein widersprüchlicher Mensch gewesen sei: „Mal lobte er, was er kurz zuvor noch verdammt hatte, und umgekehrt." Also so was! Aber was ist von einem Politiker schon zu halten, der nicht einmal Steuern gezahlt hat?

Das erste Mal ist Hitler im Herbst 1916 kurz als Tourist in Berlin, um ein Jahr später zu einem längeren Besuch zurückzukehren, untergebracht bei den Eltern eines Freundes in Prenzlauer Berg. Auf einer Postkarte schreibt er, was wahrscheinlich auch heute viele Touristen schreiben: „Die Stadt ist großartig. So richtig eine Weltstadt. Habe jetzt endlich Gelegenheit, die Museen etwas besser zu studieren." In den zwanziger Jahren ist dann Berlin für die NSDAP der „schwerste Platz des Reiches" (Hitler), so daß der Parteichef zwar in der Hauptstadt immer wieder auftritt und um Unterstützung wirbt, im wesentlichen aber von München aus agiert, wo die Parteizentrale der NSDAP auch bis 1945 verbleibt. Von Mussolinis „Marsch auf Rom" inspiriert kündigt er bereits 1923 einen „Marsch auf Berlin" an; in der Parteipropaganda ist viel vom „Sündenbabel Berlin" die Rede, davon, daß Bayern in Berlin verteidigt werden müsse.

Was der Reichskanzler Hitler dann offiziell zur Hauptstadt, deren Umgestaltung er zur Chefsache erklärt, zu Protokoll gibt, formulieren heutige Politiker kaum anders. Berlin müsse mit allen Hauptstädten der Welt konkurrieren können: „Es muß so weit gefördert werden, daß niemals ein Zweifel auftauchen kann, daß es auch kulturell die Hauptstadt des Deutschen Reiches ist und jeden Wettbewerb mit anderen Städten, z.B. London, Paris und Wien, aufnehmen kann." Oder: „Daher ist es auch mein Bestreben, diesem neuen nunmehr ja größten Reich eine würdige Hauptstadt zu geben. Eine Hauptstadt, derer sich der Deutsche nicht mehr zu schämen braucht, wenn er ins Ausland kommt." Der von Albert Speer geleitete Stadtumbau indes kam so wenig voran, daß Hitler 1941 in privatem Kreis gesagt haben soll, eine Zerstörung Berlins wäre leider „noch kein Verlust". Diese Pläne interessierten ihn längst nicht mehr, als er sich noch im Februar 1945 ein Modell für den Umbau seiner „Heimatstadt" Linz in den Führerbunker bringen ließ.

Hegte Hitler also eine „Haßliebe" zu Berlin? Wir wissen es jetzt immer noch nicht und müssen es so dringend ja eigentlich auch nicht wissen.

Peter Stirner

Sven Felix Kellerhoff: Hitlers Berlin. Geschichte einer Haßliebe. be.bra Verlag, Berlin 2005. 19,90 Euro

 
 
 
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