Ausgabe 3 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Berlin-Bashing

Neulich war es wieder mal so weit: In der Wochenendbeilage der Süddeutschen Zeitung ging es um das vermaledeite Berlin, das so richtig nix aus sich machen will. Man kennt das ja zur Genüge – neu allerdings die These, warum Berlin als Popmusik-Stadt nix bringt: Es fehlt der existentielle Druck. Berlin ist einfach zu billig: die Miete, das Bier, die Clubs – so wird aus dem armen Berliner Musikpoeten nie ein großer Star. Vielleicht stimmt das sogar, nur genau das macht den Charme vieler Berliner Musiker aus. Oder wie Barbara Morgenstern einst so treffend formulierte: Nichts Muß. Hier also ein paar wundervolle Bands vom Rand des sozialdarwinistischen Schlachtfelds.

Masha Qrella ist vielleicht ein Prototyp dieser Art von Musikerinnen. Obwohl sie in mehreren Projekten vernetzt ist (Contriva, Mina, NMFarner), verfolgt sie seit Jahren ihren eigenen Sound. Jetzt hat sie ihre zweite Soloscheibe Unsolved Remained (Morr-Music) vorgelegt: warme Elektronik, verzögerte Beats, entspannte Gitarrensamples und eine Stimme, die die Frage aufwirft, ob es jenseits von Berlin überhaupt noch schönere Musik geben kann.

Ähnlich vernetzt findet sich auch Sascha Ring, der gemeinsam mit T.Raumschmiere das Label Shitkatapult betreibt. Mit seinem Projekt Apparat erforscht er die Schnittstellen zwischen klassischem Song und elektronischem Track. Die Dichte von Silizium ist der offensichtlich großartigen Zusammenarbeit mit dem Sänger Raz Ohara und dem Saxophonisten und Klarinettisten Hormel Eastwood zu verdanken. Gesang, weiche Bläserläufe und ein paar Streichinstrumente verknistern sich zu einer schönen melancholischen Dichte.

Seit Jahren bewegen sich Brezel Göring und Françoise Cactus von Stereo Total zwischen Casioplastik-Pop und Gitarren-Schrammel. Und auch auf Do The Bambi (Disko B) klingt es wieder nach einer Mischung aus Hubert Kah und den Strokes. Fest steht, daß sich Stereo Total mit seiner Liebestaumel-Dada-Poetik dem Erwachsenwerden erneut entzieht. Das macht bei den originellen Songs, wie dem Titeltrack oder dem wunderbaren „Orange Mechanique" wilden Spaß. Bei den anderen hilft nur vergnügtes Mitpfeifen und die Gewißheit, daß wir noch früh genug erwachsen werden.

Im Vergleich dazu versucht sich das Jeans Team mit Musik Von Oben (Louisville Records) an einer Mischung von musikalischer Weiterentwicklung und konsequenter Verweigerungshaltung. Da steht dann so ein Dancefloor-Quatsch wie „Königin", das oben erwähnter Hubert Kah durchaus auch hinbekommen hätte, neben so wunderbaren Songs wie „Berlin am Meer" oder auch dem angenehm stillen „Wunderbar". Nicht ganz das, was man Konsensscheibe nennen würde, aber das ist aus Berlin wohl auch nicht zu erwarten.

Marcus Peter

musik für die massen
 
 
 
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