Ausgabe 3 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

ALDI & Co. – Deutschlands neue Baukultur

Villenabriß in Pankow

Eine Fahrt von Prenzlauer Berg in den Pankower Norden gleicht stellenweise einer Reise von Wernigerode nach Hoyerswerda, weg von einer nahezu geschlossen erhaltenen historischen Stadtlandschaft, hin zu zahlreichen Brachflächen links und rechts des Weges, die hier und da geflickt sind mit gesichtslosen Neubauten. Diese klaffenden Baulücken haben nichts gemein mit dem wohltuenden Nachlassen der Bebauungsdichte vom Stadtkern zu den Randgebieten, der eigentlichen Qualität eines Randbezirkes. Im 19. Jahrhundert wurde Pankow noch von Gutbetuchten als Wohnort geschätzt, eben wegen seiner lockeren und großzügigen Bebauung mit Villen im Grünen. Anstatt sich aber auf diese Qualität zu besinnen und daran anzuknüpfen, werden die ohnehin schon selten gewordenen Zeugnisse abgerissen und ersetzt durch Supermärkte. Zwei Beispiele für die Vernichtung von Baukultur:

Die Villa Kostecky

An der belebten Hermann-Hesse-Straße, auf dem Grundstück Nummer 19, in Pankow-Niederschönhausen stand eine Villa ­ eigenartig, beeindruckend, imposant ­ an der man nicht vorbeischauen konnte. Dafür sorgten eine reich verzierte, schmiedeeiserne Einfriedung, ein verwunschener parkähnlicher Garten, durch den man auf Marmorplatten zu einer zweigeschossigen Villa mit einem grün schimmernden seltenen Runddach gelangte. Auf dem Dach eine Venus, zu beiden Seiten des Eingangsportals Putten und glänzende Marmorsäulen.

Schon in den zwanziger und dreißiger Jahren, als die Villa Kostecky in der heutigen Form umgebaut wurde, erregte sie viel Aufsehen. Zum einen wegen ihrer für Pankow und diese Zeit völlig atypischen Bauform und ihres vielfältigen, als kitschig empfundenen Dekors. Eine Sensation für die eher spießigen Pankower Bürger war zum zweiten der Villeneigentümer, Wolfgang Joseph Kostecky ­ nicht nur Pole und somit fremd, auch noch reich und vor allem bekennend schwul. Seinen Hang zum Prunk lebte er auch im Innern der Villa aus, ordnete einen großen Saal und eine weitläufige Treppenhalle an, verlegte ­ wo möglich ­ Marmor, bespannte die Wände mit Seide, bestückte die Räume mit offenen Kaminen und das Bad mit einer gigantischen Wanne, die, als die Balken morsch wurden, fast die Decke zum Einsturz gebracht hätte.

Ein jähes Ende fand das exzentrische, die Nachbarschaft aufs beste unterhaltende Leben in der Villa im September 1940. Da wurde Kostecky nach §175 Reichsgesetz als „Berufsverbrecher", eine unter den Nazis übliche Bezeichnung für Homosexuelle, die es zu beseitigen galt, ins KZ Sachsenhausen deportiert. Kostecky hatte Glück, er überlebte. Wie seine Villa auch ­ bis zum 17. Februar 2005, an diesem Tag begann der Abriß.

Wie konnte es dazu kommen? Wieso war diese zweifelsohne denkmalwerte Villa nicht als solche geschützt? Fast schon verwundert äußerte eine für die Denkmalerfassung zuständige Mitarbeiterin des Landesdenkmalamtes Berlin im Dezember 2000 bei einem Termin vor Ort, daß die Villa bisher „schlichtweg übersehen wurde. Sie gehört eigentlich auf die Denkmalliste, und es ist deshalb notwendig, den Denkmalwert des Gebäudes anzuerkennen, um die Villa vor weiterem Verfall zu bewahren". Die Villa wurde „übersehen", während der sie umgebende Garten 1995 als Denkmal erfaßt ­ und interessanterweise 2001 wieder gelöscht ­ wurde.

Die verbale Feststellung des Denkmalwertes und die geäußerte Verwunderung der Mitarbeiterin bewirkten keinerlei Schutz, vielmehr den weiteren Verfall des Anwesens. Bis schlußendlich im Dezember 2004 vom Landesdenkmalamt festgestellt wurde, daß „aufgrund von entfernter Ausstattung und weitestgehender Demolierung im Innern des Wohnhauses die Originalsubstanz so weit eingeschränkt ist, daß eine Eintragung als Baudenkmal ausgeschlossen werden muß". Man braucht nur lange genug zu warten und Probleme auszusitzen, dann erledigen sie sich gewöhnlich von selbst.

Das Grundstück liegt an einer belebten Straße, exponiert, nicht zu übersehen. Was liegt da näher, als einen Nahversorger zu errichten? Wen stört schon, daß schräg gegenüber, keine 100 Meter entfernt, seit Jahren ein Supermarkt floriert? Das Stadtplanungs- und Bauamt Pankow jedenfalls nicht. Gemeinschaftlich haben sie dem Anliegen einer Supermarktkette zugestimmt, die Villa abzureißen und stattdessen den üblichen eingeschossigen, quadratischen Kasten mit Zipfelmütze und mindestens 50 Parkplätzen zu errichten. „Ungern" habe sie zugestimmt, so eine Mitarbeiterin des Stadtplanungsamtes, aber bestehe kein Denkmalschutz, habe sie keinerlei rechtliche Handhabe gegen Abriß und Neubau. Man könne lediglich an den neuen Eigentümer „appellieren". Bei Lidl ersparte sie sich wohlweislich dergleichen.

Drei Botschaften für ALDI

Die Geschichte der Villa Kostecky ist leider kein einmaliger Ausrutscher in Pankow. Schon einmal wurde dort für einen Nahversorger, diesmal für ALDI, abgerissen, was zweifelsfrei erhaltenswert gewesen wäre. Und zwar gleich dreifach: drei ehemalige Botschaftsresidenzen aus DDR-Zeiten, an der Esplanade 7, 9 und 11. Die Geschichte ihrer Entstehung ist weltweit einmalig und ihre Architektur ohne Vergleich.

Botschaften dienen der Präsentation des jeweiligen Staates im Ausland. Entsprechend landestypisch, möglichst unverwechselbar sollte die Architektursprache der Gebäude sein. Nicht so in der DDR. Nach der Maxime Uniformität statt Individualität wurden kurzerhand Typenhäuser entworfen, die mitnichten Rücksicht auf die Bedürfnisse des jeweiligen Landes nahmen. Selbst während der Bauarbeiten war noch nicht klar, welcher Staat in welches Gebäude einziehen würde; vergeben wurde später nach Qualität der Beziehungen.

Unabhängig von diesen politischen Rahmenbedingungen gelang dem mit der Planung beauftragten Architekten Eckart Schmidt ein überzeugender Entwurf für ein villenartiges Repräsentationsgebäude. Seine Leistung ist umso mehr zu würdigen, als es in der eingeebneten sozialistischen Gesellschaft keine vergleichbaren Bauten gab. 1966 entwarf er den sogenannten „Typ Pankow", der in leicht veränderter, vor allem verbilligter Form ab 1974 an der Esplanade und umliegenden Straßen mehrfach errichtet wurde. Die Gebäude sind stilistisch dem Neuen Bauen der zwanziger Jahre verpflichtet, sind kompakte, dreigeschossige Kuben, mit einer streng symmetrischen Fassade und einem Flachdach. Schmidts Planung unterlag den begrenzten technischen und handwerklichen Ressourcen in der DDR: Die maximal herstellbare Spannweite einer Deckenplatte von 4,75 Meter bestimmte die Grundfläche des Hauses, mangelnde Zimmermannskapazitäten den Verzicht auf einen Dachstuhl.

Vor allem im Innern offenbaren sich Großzügigkeit und ein Hauch von Luxus. Mit 688 Quadratmeter Wohnfläche sind die Gebäude wesentlich größer als übliche Einfamilienhäuser. Man tritt in einen weitläufigen, mit Steinplatten gefliesten Eingangsbereich, schaut an einer über alle drei Geschosse reichenden, filigranen und trotzdem ausladenden Treppe vorbei durch bodentiefe Fenster in den großzügigen Garten. Durch breite Schiebetüren gelangt man linker Hand in Salon und Wohnraum, die durch eine raumbreite Falttür zu einem Saal vereinbar sind. Rechter Hand des Flurs liegen Speisezimmer und Küche.

Auffallend gut erhalten waren die drei inzwischen ALDI zum Opfer gefallenen Gebäude; übrigens zuletzt genutzt von den Botschaften Indonesiens (Nr. 9) und Brasiliens (Nr. 11). Diesmal konnte sich die Denkmalschutzbehörde ­ auch hier von entsetzten, ALDI-bedrohten Anwohnern herbeigerufen ­ nicht wegen „verlorener Originalsubstanz" aus der Verantwortung winden. Aber wo ein Ablehnungswille, da ein Weg. Zwar zeigte sich die Bearbeiterin des Landesdenkmalamtes in einem Schreiben vom April 2003 dermaßen beeindruckt von der „architektonischen Qualität der Bautypen, daß die Botschafts- und Residenzgebäude zu einem interessanten Beschäftigungsfeld" für sie wurden. Der angestrebte Ensembleschutz könne jedoch nicht zustande kommen, da ­ abgesehen von den drei dem Abriß geweihten ­ die umstehenden Botschaftsgebäude „in ihrem Erscheinungsbild zum Teil erheblich verändert" wurden. Wieso erwirkte man stattdessen keinen Einzeldenkmalschutz, wenn jedes Gebäude für sich architektonisch doch so qualitätvoll war, wie im gleichen Schreiben betont?

Der weitere Verlauf der Geschichte liegt auf der Hand: kein Denkmalschutz, keine rechtliche Handhabe für die beteiligten Ämter, das Bauvorhaben zu unterbinden, Abriß Ende 2003, ALDI-Neubau Anfang 2004, übrigens in 800 Metern Entfernung von Norma.

Wer hat Schuld?

Die zuständige Denkmalschutzbehörde? In beiden Fällen wären die Kriterien für eine Unterschutzstellung mehr als erfüllt gewesen: die Villa Kostecky, ein den Straßenzug dominierender, also städtebaulich wichtiger Bau, der zudem stilistisch völlig zeituntypisch, nicht alltäglich, also künstlerisch bedeutend ist. Der Eigentümer ein Opfer der Nationalsozialisten, womit also auch noch eine historische Dimension gegeben war. Es blieb natürlich das Risiko, daß die Villa den Denkmalpflegern unter den Fingern verfällt. Die Gefahr, ein Negativexempel für erfolglosen Denkmalschutz zu statuieren, war groß.

Nicht so bei den Botschaftsresidenzen: historisch bedeutsam als Zeugnisse der DDR-Geschichte, künstlerisch wertvoll aufgrund der überzeugenden architektonischen Qualität und ihrer Einmaligkeit in der DDR-Baukultur. Für alle drei Gebäude gab es Interessenten, die sie nur zu gern erhalten und genutzt hätten. Hier siegten wohl die Interessen eines ALDI-Standortentwicklers, der gern von sich gab, er wolle den Osten mit ALDI zupflastern.

Es ist einfach zu sagen, die Denkmalpflege sei schuld. Aber sie ist keine Hure, derer man sich immer dann bedient, wenn eigentlich schon alles zu spät ist, der Abrißbagger schon gräbt und maßstabslose Neubaupläne auf dem Tisch liegen. Dergleichen vorzubeugen ist Aufgabe einer behutsamen Stadtentwicklungspolitik, und die Umsetzung bedarf angemessener gesetzlicher Rahmenbedingungen. Liegt die Lösung also in einer strengeren Gesetzgebung für den Städtebau, in mehr Macht für den Bearbeiter im Planungs- und Bauordnungsamt? Sicher nicht, denn jede weitere gesetzliche Reglementierung könnte zwar wirksamer den Wildwuchs von ALDI & Co. eindämmen, entzöge aber mit Sicherheit den Nährboden für Kreativität und Innovation beim Bauen.

Wie so oft scheint keine schnelle Patentlösung in Sicht, sondern gilt es, einen langen Weg der Sensibilisierung für Architektur und Städtebau zurückzulegen. Die Notwendigkeit des Bewahrens gewachsener Strukturen und des maßstäblichen Einpassens von Neubauten müßte von vielen erkannt werden, als einziger Ausweg vor gesichtslosen Stadtlandschaften. Dazu aber ist Wissen über die Materie Voraussetzung. Am effektivsten lernt der Mensch bekanntlich im Kindesalter. Bisher wurde es nicht für notwendig erachtet, in der Schule Grundwissen über Architektur, Städtebau und die Wirkung der gebauten Umwelt auf den darin lebenden Menschen zu lehren. Vielleicht beginnt hier der Weg zum Erhalt unserer Baukultur.

Brigitte Baerlauch

Zur Fotoserie von Knut Hildebrandt "Abriß der Villa Kostecky in Pankow"

 
 
 
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