Ausgabe 3 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

ditte & menschenkind

Frutte, logg dich ein!

Berlin, im Februar. Tag des innerdeutschen freien Paketes.

Pack für Deutschland! sagte sich Menschenkind, dem mal wieder dies und das durch den Kopf geht, als er mit seinem schweren Freipaket unter dem Arm der Deutschen Post AG zustrebt.

„Hoch lebe die Freiheit des deutschen Freipaketes!" war Dittes Kommentar zu diesem Tag. Bald zerbrach sich die halbe Nation den Kopf, wem man mal was schicken könnte. Ja, vor dem Fall der Mauer wäre die Antwort leicht gefallen. Gelbe Erbsen für den Osten! Und die ganz Ausgeschlafenen hätten Bananen in einer Tiefkühltasche geschickt, und der Osten, wäre es ein bilaterales Ereignis gewesen, Kunstbücher aus dem Seemann-Verlag und Holzgeschnitztes aus dem Erzgebirge. Vielleicht hätte auch manch ein Dresdener Butterstollen schon früh im Jahr die Seite gewechselt und so eine lange Vorfreude erzeugt.

Als sie neulich nach der langen Nacht der Museen, endlich bei Ditte angekommen, Kaffee trinken wollten, hatte Ditte keinen da. Nun bekommt sie exakt zwanzig Kilo Kaffee, soviel, wie der Einzelne an diesem Tag als Freipaket abschicken darf. Erst hat sich Menschenkind noch den Kopf zerbrochen, ob seine zwanzig Kilo nicht vielleicht über dem Eichstrich wären, weil ja noch die Verpackung hinzugerechnet werden müsse, aber nun, nachdem er das Paket auf der Kartoffelwaage des türkischen Händlers an der Ecke hat wiegen lassen, steht er ganz entspannt in der Schlange der Wartenden, die sich bis an die Freitreppe seiner Post ringelt.

„Isso. Immer Schwund bei der Ware", hatte sein türkischer Gemüsehändler, der in Wirklichkeit Kurde ist, die neunzehn Kilo, die auf der Skala erschienen waren, kommentiert. Noch aus der Gründerzeit, denkt Menschenkind, als er sich, das Paket zu Füßen und so einen gehörigen Abstand zu seinem Vordermann markierend, gegen eine der Sandsteinsäulen lehnt und drinnen, hinter der Glastür, die Menschengruppen beobachtet, die da noch ihre Pakete pakken oder vielleicht auch wieder etwas herausnehmen müssen?! Was sehen da seine entzündeten Augen? Ditte? Wenigstens eine Person ihres Schlages steht da am Packtisch und windet um ein glänzendes Paket, auf dem er die Umrisse eines Staubsaugers ausmachen kann, das Plakat von der überstandenen langen Nacht der Museen! Mein Gott, machen sie da wieder das Gleiche, bloß irgendwie spiegelverkehrt? Als sie nämlich bei Ditte keinen Kaffee trinken konnten, an jenem denkwürdigen Morgen, waren sie mit dem Mut der Verzweiflung zu Menschenkind gegangen. Kaffee hatte er, aber eben auch eine verstaubte Wohnung ...

Da, wie sie sich bewegt! Das ist Ditte! Offenbar hat sie wieder einmal vorgesorgt, ihren Platzhalter in der Schlange angebracht, so, wie sie sich jedes Mal bei jeglicher Großveranstaltung einen guten Platz ergattert, und oft hat sie noch nicht einmal eine Eintrittskarte in der Tasche! Ratsch, hört er das Paketklebeband abreißen, als er schon die Schalterhalle betritt. Das Wesen, das Ditte sein muß, steht bereits vorne in der Schlange. Dittes Rücken mit Blicken streichelnd, vernehmen seine Ohren eine rauhe Männerstimme, die aus dem Kerl kommen muß, der hinter Ditte steht. Vom Deckengewölbe der gewaltigen Schalterhalle verstärkt, brüllt er: „Frutte, logg dich ein!"

Zustimmendes Gemurmel um ihn herum macht den Ausbruch zum Ereignis. Unmut macht sich breit, zumal Ditte gerade ihr Paket auf den Tresen hievt. Aber der erregte Hintermann packt das Paket und wirft es auf den Terrazzoboden. Menschenkind ist außer sich. Er läßt seine neunzehn Kilo Kaffee neunzehn Kilo Kaffee sein, entwindet dem Wildgewordenen das Paket, das dieser noch offenbar herumschubsen will. „Das ist mein Staubsauger! Daran vergreifst du dich nicht!" Die Frutte dreht sich um.

„Ach du Scheiß, mein schönes Paket!" Durch den Aufprall ist die Verpackung zerborsten. „Meine zerlegbare, leicht zu reinigende Multifunktionsschere aus rostfreiem Edelstahl! Inklusive ABS-Griffen mit Softringeinlage; sowie Kapselheber, Knochenbrecher und Glasdeckelöffner!"

Im Paketannahmecenter ist es plötzlich mucksmäuschenstill. Man hört nur noch eine Seniorin aufstöhnen: „mit Knochenbrecher, mit Knochenbrecher ..."

Brigitte Struzyk/Dieter Kerschek

 
 
 
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