Ausgabe 2 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Dünkeldämmerung

Der neue Kapielski ist wieder der alte, naja fast

Thomas Kapielski wurde von seiner Frau vor die Tür gesetzt und wohnt jetzt wieder allein. Er trinkt auch wieder mehr. Und die befristete Professur in Braunschweig neigt sich ihrem Ende zu. Mit der dauerhaften Verbeamtung ist es also nichts geworden. Man kann sich auf nichts mehr verlassen und dabei schon auf trübsinnige Gedanken kommen. So könnte man Thomas Kapielskis neues Buch mit dem wieder mal ausgesucht merkwürdigen Titel Weltgunst zusammenfassen – und kann es natürlich doch nicht. Denn die Meriten der Kapielskischen Prosa, die simpler gestrickt daherkommt als sie es in Wirklichkeit ist, liegen in den Abschweifungen und Zwischentönen. Ob er nämlich gerade gar nichts zu erzählen hat oder Schenkelklopfer aus dem Trinkerleben zum besten gibt, darauf kommt es eigentlich nicht an. Viel wichtiger ist, wie er es macht, auf welche Neben- und Holzwege er dabei gerät.

Kapielskis letztes, 2001 erschienenes Buch Sozialmanierismus ­ mit seinen 400 Seiten geradezu ein Wälzer, wenn so etwas im Merve-Format möglich wäre ­ hatte durchaus einen zweifelhaften Nachgeschmack hinterlassen. Thomas Keith etwa sprach in seiner Rezension von „Kapielskis Häuslichwerdung": Der „ulkige Erzählonkel" habe nicht mehr viel zu erzählen (s. scheinschlag 1/2002). Unangenehm berührte der wohlfeile Spott über den Literatur- und Kulturbetrieb, in dem er gerade selbst kräftig mitzuverdienen begonnen hatte, das ständige Kokettieren mit der eigenen Saturiert- und Abgeklärtheit. Aber so sicher konnte man sich natürlich auch wieder nicht sein, denn was wäre bei diesem „freischaffenden Kunsttrinker" unironische Rede? Klar schien immerhin, daß Kapielski nicht gerade zur Hochform aufläuft, wenn er vornehmlich den laufenden Schwachsinn des Kunst- oder Hochschulbetriebs kommentiert.

Das hat sich freilich geändert. Das neue Buch, das Jahre des „Hinnehmens", „Durchstehens" und „Standhaltens" (2002 bis Sommer 2004) aneinanderreiht, sich mithin schreibend am eigenen Schopf aus der Lebenskrise zu ziehen versucht, hat eine andere, existentiellere Grundierung. Zwar wirkt das „alles, alles war gut!", das der Autor sich am Schluß in einer Ruhrgebietskneipe zuruft, dann doch wie ein Pfeifen im Walde; zwar nimmt die Selbstbespiegelung als Koketterie wieder einigen Raum ein: „Werde ich kauzig, schrullenhaft? Sonderbar: heute legte ich ohne Bedenken bei Kaiser's kurz vor der Kasse noch ein Speiseeis (!) namens Domino in den Einkaufswagen. Fraß es dann recht vergnüglich. Wo soll das enden?" Aber unterwegs hat Kapielski uns doch wieder mit allerhand Denkwürdigkeiten beschäftigt, uns mit vielen Kalauern und Albernheiten beglückt. Etwa: „Im Wirtshaus allzu subaltern der Gast, im Gasthaus der Wirt; folglich geradewegs in eine Gastwirtschaft." Kapielski glaubt noch immer: „Nur an den Stammtischen sieht man noch klar!", will uns sogar weismachen, Berliner Kneipenhocker würden tagsüber zu Hause Gedichte auswendig lernen und kolportiert den sympathischen Satz: „Fernseher hab ick abjeschafft. Kneipe is mir wichtiger!"

Seinen ersten „Erholungsurlaub" seit Jahrzehnten verbringt Kapielski denn auch folgerichtig in Wanne-Eickel. Und das hilft dann wirklich. Linderung bringen „Köpi am Markt", diese „wahre und einzigartige Krone der Gastlichkeit", und die Cranger Kirmes. Der Urlauber jedenfalls kommt zu dem Schluß: „An Inkommensurabilitäten stört sich außer Adorno und mir keiner mehr in der Welt. Und einer von uns ist sogar schon tot."

Bekanntschaft machen kann man in Weltgunst auch mit dem Aphoristiker und Raisonnierer Kapielski, der einen allerdings mit gemischten Gefühlen zurückläßt: Denn da kommt bei aller Ironie doch einiges arg verzopft und dünkelhaft daher, ob es nun gegen das angeblich die Klassiker vergewaltigende „Regietheater" geht, gegen die Kleidung der „Jugend" oder die islamistische Gefahr, wie Kapielski sie sich zusammenphantasiert: „Was aber, wenn nun unseren andersgläubigen Mitwelten demnächst auch die alte Malerei mit ihren christlichen Motiven unerträglich wird? Werden wir sie dann willfährig und vorgreifend gleich selbst verheizen, um nur ja keine selbstgewissen Totalitäten und Empfindlichkeiten zu kränken?"

Und die „Weltgunst"? In einem Gedicht von fast schon Dieter Rothscher Qualität erfahren wir: „Die Weltgunst ist ein See,/Darinnen untergeh,/Was wichtig und weh,/Was leidwund und schwer;/Allein das Leichte/Treibt korkig/Daher."

Florian Neuner

Thomas Kapielski: Weltgunst. Merve Verlag, Berlin 2004. 13,80 Euro

 
 
 
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