Ausgabe 2 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Schnee auf dem Popocatepetl

Dreizehn Bubenstücke um Unvermeidliches

Stefan Wimmer ist ein sympathischer Erzähler ihm offenbar wohlvertrauter Eskapaden, die einen jungen Kulturwissenschaftler und Journalisten aus den bayerischen in die mexikanischen Jagdgründe und wieder zurück verschlagen. Alkohol, Frauen und Kokain auf der Spur, driften die Akteure der fröhlich-unprätentiösen Geschichten durch München und Mexico City. Eine akademische Bohème beim Verlieren hochgesteckter Erwartungen, beim Sich-Arrangieren mit der Bodenständigkeit aller Motivation jenseits universitärer Denkkosmen, die in den Bars und Bodegas allenfalls zum Material für kalauernde Metaphern bei der Beschreibung anthropologischer Grundkonflikte taugen. Postmoderne Theorien dienen so, wozu sie am besten geeignet sind: zum einander umgarnenden Smalltalk bei der Damenwahl nach dem dritten Drink.

Wimmer, der selbst zwischen Bayerischem Rundfunk und Playboy sein Auskommen findet, hat mit den 120 Tagen von Tulúm jene mezcalgeschwängerten Regionen der freien Medienmitarbeit durchmessen, die effizienzerhöhender Beratung in der Schattenwelt nichtmedialer Produktion längst zum Opfer gefallen wären. Daß der Stoff, in dem sich hier die Träume lösen, weniger schicksalhaft zu Buche schlägt als in Malcolm Lowrys Unterm Vulkan zum Beispiel, mag an Alter und noch robuster Gesundheit des Autors liegen. Daß Opportunismus als Handlungsmaxime sich ad absurdum führt zwischen all den vergeblichen Versuchen, Mädels nach dem Munde aufs Laken zu quatschen, läßt einen sensiblen Moralisten hinter jenen Kulissen vermuten, vor denen Koks und Mai Tai den kühlen Beherrscher der Lage mal um mal zum Balztanz verlocken. Daß der Antrag, den Wimmers Alter ego einer Angebeteten in Schuman's Bar macht, an den dort gereichten Whiskey Sours nippend und sie mit den Cocktails vergleichend, die „nach der Niederkunft des Heiligen Geistes in einem Zitronenbaum von Kentucky" schmeckten, läßt den Freund solcher Genüsse nur mit der interessierten Frage zurück, ob dort Jim Beam Black Label oder Wild Turkey der Vorzug als Bourbon-Basis gegeben wird.

Wenn man jedoch mit Wimmer sein „sexuelles Stalingrad" erlebt oder vor einem Dealer steht, der „ausgemergelt und mager wie Holger Meins am letzten Tag seines Hungerstreiks" ist, sind das Überillustrationen, die man in Kolportageliteratur nicht nur verzeiht, sondern erwarten darf. Ein Buch, das sich gut auf langen Wegen durch das naßkalte Berlin in der Manteltasche zur Verfügung halten läßt. So liest man und trällert sich – ein wenig durstig geworden – dazu eine Texmex-Melodie ...

Ralf B. Korte

Stefan Wimmer: Die 120 Tage von Tulúm. Geschichten. Maas Verlag, Berlin 2005. 12 Euro

 
 
 
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