Ausgabe 2 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Kurzkultur

ausschlachten

Ein Theaterstück am Puls der Zeit? Die Hoffnung scheint nicht unberechtigt, wenn man die Ankündigung der Sophiensaele liest. Betrachte meine Seel', das neue Stück von Christiane Pohle, bezieht sich nämlich auf einen authentischen Fall, den als makabre Kuriosität herunterzuspielen in diesen Zeiten wohl zynisch wäre: Im November 2001 kommt Andreas Plack zu Tode, nachdem er seinen Cousin dazu gebracht hatte, ihn mit einer Motorsäge so schwer am Bein zu verletzen, daß er als arbeitsunfähig gelten würde. Zuvor hatte Plack mehrere Versicherungen abgeschlossen. „Stellt zu Beginn des 21. Jahrhunderts die Ausschlachtung des eigenen Körpers die letzte Möglichkeit dar, individuelles Glück und die Hoffnung auf Erfüllung des persönlichen Lebensentwurfes zu erreichen (und zu sichern)?" fragen nun die Theaterleute. Das könnte spannend werden.

* „Betrachte meine Seel' (Eine Überführung)" von Christiane Pohle hat am 4. März Premiere, weitere Vorstellungen am 5. und 6. sowie vom 8. bis 13. März, jeweils um 20 Uhr in den Sophiensaelen, Sophienstr. 8, Mitte

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Berlin und seine Brauereien sind derzeit in aller Munde. Passend dazu die Ausstellung Hopfen und Malz. Geschichte und Perspektiven der Brauereistandorte im Berliner Nordosten. Aus allen Blickwinkeln will sie das Thema beleuchten: Luftbilder zeigen die städtebauliche Dominanz und Architektur der Brauereiareale, nie verwirklichte Umnutzungsplanungen verdeutlichen den schwierigen Umgang mit diesem Erbe. Erinnerungen ehemaliger Braumeister machen die Arbeitsabläufe vorstellbar, Sammlerstücke wie Flaschen oder Werbeschilder lassen die Geschichte der Standorte greifbar, ein Hörspiel die Welt des Bierkonsums erlebbar werden. Dazu kommt ein umfangreiches Begleitprogramm aus Rundgängen über die Brauereigelände, Vorträgen zum Thema und theatralischen Inszenierungen.

* „Hopfen und Malz. Geschichte und Perspektiven der Brauereistandorte im Berliner Nordosten", vom 25. Februar bis zum 16. Oktober in der Ausstellungshalle Prenzlauer Allee 227/228, Prenzlauer Berg

ausplaudern

Nachdem die Uraufführung des Cyrano de Bergerac 1897 über eine Pariser Bühne gegangen ist, findet man den Souffleur Ildebrando Biribo tot in seinem Souffleurkasten. Ein dramaturgischer Kniff in der Tragikomödie von Emmanuel Vacca erlaubt es Biribo aber nun, noch einmal aus der Schule und über ein langes Theaterleben zu plaudern – ein abendfüllender Monolog, den in der deutschen Erstaufführung am Hackeschen Hoftheater Wolfram von Bodecker interpretiert. Bodecker, bislang vor allem als Pantomime hervorgetreten, hat auch selbst den Text für diesen Abend eingerichtet. Vacca sagt über seine Figur, den Souffleur: „Dieser Beruf berührt mich, weil er in meinen Augen all das verkörpert, was ich mir vom Theater wünsche. Die Hingabe, die stille Liebe für den Akt des Schauspielens, für das Wort ebenso wie für die Bewegung."

*„Ildebrando Biribo – der Souffleur" von Emmanuel Vacca hat am 15. März Premiere, weitere Vorstellungen vom 16. bis 19., am 22. und 23., vom 29. bis 31. März sowie am 1. und 2. April jeweils um 20 Uhr im Hackeschen Hoftheater, Rosenthaler Str. 40, Mitte, Karten 14, ermäßigt 9 Euro (Premiere und Sa keine Ermäßigung)

ausstechen

Stellenrückbau und Mitarbeiterentlassungen können Rocket-Freudental nicht schocken ­ mit einem streng ökonomischen Konzept und dem Minimaleinsatz von Schlagzeug, Gitarre und ein paar Plastik-Klingelton-Samples spielen sie Diskurs-Punk in Dada-Kostümierung. Pete Freudental und Bob Rocket kommen aus Stuttgart und analysieren in ihren schwer theorielastigen Texten die gesellschaftliche Misere in einer Art und Weise, daß selbst Adorno und Luhmann nur noch als Theoriestümper gelten können. Oder wie es Schorsch Kamerum messerscharf auf den Punkt bringt: „CD gefällt mir sehr. Ich bau auch Scheiße." Live sicherlich eine Erleuchtung!

* Rocket-Freudental am 18. März um 21 Uhr im Kingkongklub, Brunnenstraße 173, Mitte, Eintritt 6 Euro

ausschmücken

Gäste des schicken Arcotels Velvet in der Oranienburger Straße müssen sich auf einiges gefaßt machen: In den Duschen von zehn Zimmern hängen derzeit lebensgroße Silhouetten menschlicher Körper, gestaltet von der österreichischen Künstlerin Theres Cassini, die den Hotelgästen „ein kurzes intimes Zusammensein von eigener Verletzlichkeit und Nacktheit mit fremden Stellvertreterkörpern an einem fremden und fremdbestimmten Ort" ermöglichen sollen. Die Gäste werden dann dazu angehalten, ihre „Gedanken und Gefühle" zu Papier zu bringen. Ob sie bei der Buchung vor der Kunst gewarnt werden, entzieht sich unserer Kenntnis.

* „Duschberichte" von Theres Cassini, noch bis zum 1. April im Arcotel Velvet, Oranienburger Str. 52, Mitte, Voranmeldung erforderlich, www.arcotel.at

ausglühen

Der große, viel zu früh verstorbene Bernhard Minetti vermochte selbst scheinschlag-Redakteure noch ins Theater zu locken: Gut erinnerlich der „Thomas-Bernhard-Abend" auf der Probebühne des BE, bei dem die Zuhörer die Texte schon vorher kennen mußten, um der vergeistigt-greisen Darbietung folgen zu können. Die Akademie der Künste, deren Mitglied Minetti war, ehrt ihn nun etwas verspätet zu seinem 100. Geburtstag mit einer Veranstaltung, auf der eine Aufzeichnung des Stücks Minetti von Thomas Bernhard zu sehen sein wird, außerdem bringt Ulrich Matthes Texte von und über Minetti zu Gehör.

* „Bernhard Minetti (1905-1998)" am 5. März ab 17 Uhr in der Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, Tiergarten, Eintritt 8, ermäßigt 6 Euro

ausmustern

Putzig, wie das Museum Ephraim-Palais für seine aktuelle Ausstellung wirbt: „Besonders in der heutigen Zeit virtueller Räume und Spiele verdient die sportlich-künstlerische Leistung der Artisten, Dresseure und Clowns größte Anerkennung." Wohl wahr, aber live durch brennende Reifen springende Elefanten locken Kinder nun einmal nicht vom Fernseher weg. Daran wird auch die umfassende Ausstellung Zirkus in Berlin nichts ändern, die nun vom ersten Zirkusbau vor dem Brandenburger Tor 1821, über die bekannten Zirkusfamilien Busch und Schumann bis hin zum Staatszirkus der DDR die gesamte circensische Historie Berlins aufrollt, abgerundet durch Fotos von Loredana Nemes, die in den letzten Jahren im „Circus Roncalli" entstanden sind.

* „Zirkus in Berlin", noch bis zum 24. April im Museum Ephraim-Palais, Poststr. 16, Mitte, täglich außer Mo 10 bis 18 Uhr, Mi 12 bis 20 Uhr

 
 
 
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