Ausgabe 2 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Die Vorzüge schlampiger Flughafenplanungen

Ganze neun Jahre sind seit der politischen Entscheidung, den Flughafen Schönefeld auszubauen und dafür Tempelhof und Tegel zu schließen, schon vergangen. Erstaunen löste sie damals aus, weil zuvor der ehemalige sowjetische Militärflughafen Sperenberg als Favorit gegolten hatte. Etwa 30 Kilometer südlich von Berlin im Wald gelegen, wurde dieser Standort dann als zu weit von der Hauptstadt abgelegen bezeichnet. Der neue Großflughafen sollte schließlich schnell von der Berliner Stadtmitte aus zu erreichen sein, und der Stadt sollten auch die erhofften neuen Arbeitsplätze zugute kommen. Dabei wurde in Kauf genommen, daß im Umfeld Schönefelds sehr viel mehr Menschen vom Bau und Betrieb des Großflughafens betroffen sein würden, als dies in Sperenberg der Fall gewesen wäre.

Da so ein Flughafen nicht einfach gebaut werden kann, nachdem man sich für ihn entschieden hat, mußten zunächst die Pläne gebastelt werden, die einerseits den Bau vorbereiten, ihn andererseits aber auch legitimieren. Dafür waren wiederum die Vor- und Nachteile, insbesondere für die betroffenen Gemeinden und Bürger abzuwägen. Das ist natürlicherweise schwierig, wenn die eigentliche Entscheidung bereits getroffen wurde.

Eine solche, sozusagen fingierte Abwägung ist den Ländern Berlin und Brandenburg nun mal wieder auf die Füße gefallen. Bereits zum dritten Mal ist ein Landesentwicklungsplan vom Oberverwaltungsgericht in Frankfurt (Oder) in Teilen oder gänzlich für nichtig erklärt worden, weil Betroffene im Planungsprozeß des Flughafens übergangen worden waren. Das Gericht hatte leider nicht darüber zu befinden, inwieweit sie bereits zuvor, im politischen Entscheidungsprozeß, übergangen worden waren.

Interessant ist nun, wie die üblichen Verdächtigen aus der Politik auf das Urteil reagieren. „Weiter so!" erschallt es aus dem Regierungslager, man ruft zum Pläneflicken auf und macht ansonsten die planende Verwaltung für die Pleite vor Gericht verantwortlich. Das ist praktisch, denn es lenkt von der politischen Ebene ab. Währenddessen übt sich die Opposition fleißig im Stühle-Sägen. Von unprofessionellem und schlampigem Handeln ist immer wieder die Rede und von schlimmen Auswirkungen für den Wirtschaftsstandort und den Arbeitsmarkt, falls der Großflughafen ins Wanken gerate.

Daß dem Großflughafen vor Gericht auch noch seine letzte Planungsgrundlage entzogen werden könnte, mag nun niemand mehr ausschließen. Mehrere tausend Betroffene haben vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig Klage gegen den Planfeststellungsbeschluß eingereicht, der baurechtlichen Grundlage des Großflughafens. Auch in Leipzig wird es jedoch wiederum um den engeren Planungsprozeß gehen und nicht um die politischen Entscheidungsvorgänge, die ihm zugrunde liegen.

Ob es nämlich angemessen ist, über Großprojekte wie neue Flughäfen, Autobahnen oder Hochhausviertel vom Grünen Tisch der Politik aus zu bestimmen, ohne daß die Betroffenen eine wirkliche Mitsprache- und Einspruchsmöglichkeit erhalten, das ist mal wieder gar nicht Thema. Möglicherweise werden die nun laufenden Diskussionen dazu führen, daß Entscheidungen und Pläne dieser Art weniger schlampig, also „handwerklich" besser gemacht werden – und somit nicht mehr so leicht gerichtlich anfechtbar sind. Dabei würde jedoch die letzte Einspruchsmöglichkeit Betroffener verlorengehen. Hoffen wir also, daß die Schlampigkeit uns erhalten bleibt.

th

 
 
 
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