Ausgabe 1 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Sanfte Propaganda

Kritik am Bau (VII): die Neuköllner Autobahn

Ob Autobahnen nun praktisch, umweltfeindlich oder einfach faschistisch sind, eines sind sie sicher nicht: schön. Lärmschutzwände, Raststätten, selbst die weit geschwungenen Brücken, alles wirkt so, als hätte man den Architekten eingespart und stattdessen zu viel Material gekauft.

Dabei haben Autobahnen durchaus ästhetisches Potential. In Berlin fährt man zwischen den Tribünen der AVUS, der ältesten Strecke Deutschlands, wie ein Rennfahrer in die Stadt ein; die dazugehörige Raststätte steht in jedem Architekturführer. Am ICC umschlingen sich die Brücken des Stadtrings so effektvoll, als wäre die Inszenierung von Großstadt ihr einziger Zweck. Und im Norden der Stadt kann man eine Art Wald-Autobahn bestaunen: Holzverkleidet und wohnzimmerhaft eng schlängelt sich die A 111 durch den Tegeler Forst und erzählt von der Zeit, als den Westberlinern die Bäume fast so lieb waren wie ihre Autos. Um den protestierenden Naturschützern entgegenzukommen, erfand man den Autobahn-Öko-Look.

Für seine neuesten Autobahnen hat der Senat sogar ein „Architekturkonzept". Es geht um zwei Strecken in Neukölln und Treptow: die jüngste Verlängerung des Stadtrings, der auf dem Weg nach Ostberlin inzwischen Britz erreicht hat, und die A 113. Sie zweigt in Britz vom Stadtring ab, führt auf der Treptower Seite den Teltowkanal entlang und soll etappenweise bis zum Flughafen Schönefeld verlängert werden.

Wie in Tegel den Forst will man in Neukölln die Stadtstruktur schonen, und sei es auch nur optisch. Bei der Stadtring-Verlängerung war das noch einfach, denn sie liegt größtenteils im Tunnel. Für den Bau wurden ein Stück Friedhof und ein kleines Viertel vernichtet, das schon seit den Sechzigern auf die nahende Autobahn wartete und in den Augen der Planer ohnehin abrißreif war. Jetzt ist da ein kilometerlanger Park. Es ist ruhig und grün, nur die großen, erhabenen Lüftungstürme erinnern an den Autobahntunnel. Die Verkehrsplaner brachten viel Geld mit: Auf umständlichen, einer spitzfindigen Plangraphik folgenden Wegen kann der Spaziergänger das ganze Repertoire der Grünflächen-Designerei – Rampen und Brückchen, Pergolae, Kinderspielburgen – besichtigen. Den Leuten scheint's zu gefallen. Direkt am Park, mitten im ärmlichen Britz-Süd, stehen nun Bauschilder für gutbürgerliche „Townhouses".

Schwieriger gestaltet sich die Aufwertung bei der A 113, die oberirdisch verläuft ­ und noch dazu genau an der Stelle der Mauer. Wie soll man der Öffentlichkeit begreiflich machen, daß der neue Todesstreifen eine stadtverträgliche Sache ist? Mit einem „Architekturkonzept" eben, oder, um den Planfeststellungsbeschluß zu zitieren: mit „Architektur am Bau".

Eine Erkundung lohnt sich besonders an den Wochenenden. Die Autobahn ist kaum befahren, hinter der Ausfahrt Späthstraße ist sie noch Baustelle und wird nur von Spaziergängern bevölkert. Alles ist kahl und weit. Haben sich die Augen aber erstmal an die autogerechte Dimensionierung gewöhnt – ein Handlauf am Brückengeländer ist hier, wo der Normalbetrachter in Sekunden vorbeirauscht, fast so dick wie ein Ofenrohr – entdeckt man gestalterischen Willen. Die Ausfahrten wurden mit Sichtbeton und gelb-rotem Klinkermauerwerk eingefaßt; die Lärmschutzwände sind auf freier Strecke aus Holz, in bebauten Bereichen aus grauem Trapezblech und auf den Brücken aus Glas. Oft sind die Materialkanten geschwungen und zeichnen weite, manchmal einander überlagernde Bögen. Mit diesem Motiv bezieht sich der Architekt angeblich auf seine Bogenbrücken über den Teltowkanal. Aber eher scheint es dem Bedürfnis nach Auflockerung entsprungen zu sein, nach organischen Formen in der öden technischen Perfektion der Autobahn. Ähnlich ist es mit den Leuchten und Verkehrsschilderbrücken. Der Architekt hat sie, im Gegensatz zu den üblichen groben Stahlprügeln, aus filigranem Gestänge zusammengesetzt – ein Lehrstück für elegante Konstruktion. Aber zur „richtigen Form" kommt die „originelle Idee": Die Pfosten der Konstruktionen sind auf einem Viertel der Höhe eingeknickt, ohne erkennbare Notwendigkeit, aber mit einem deutlichen Effekt: Eine Autobahn, behaupten die Pfosten, kann auch lustig sein.

Die großen Autobahnprojekte der Nazizeit verfolgten, erzählen die Historiker, vor allem einen psychologischen Zweck. An allen Ecken Deutschlands wurde plötzlich gebaut, und dann auch noch etwas so Neuartiges! Die Autobahn war ein Monument des Fortschritts, aber ihr Bau wurde auch im deutschnationalen Sinn ästhetisiert. So gab es eine Sichtbeton-Fraktion, die das Funktionale der neuen Verkehrswege herausstreichen wollte, wie auch Traditionalisten, die für die klassische Natursteinbauweise eintraten. Am Ende wurde der Beton verkleidet, je nach „Gau" und „Stammesart" mit dem Stein, der als landestypisch galt. Das Beispiel zeigt, daß die Autobahn gleichzeitig heimattümlerisch und modern war; sie war darin ein treffendes Symbol und kluge Propaganda für den Nationalsozialismus.

Heute betrachtet man Autobahnen als bestenfalls notwendiges Übel. Wenn überhaupt ein Architekt beteiligt ist, muß er sich darauf beschränken, mit organischen, spielerischen Formen, differenzierten Oberflächen und fein gegliederter Möblierung für Ablenkung zu sorgen. Das Grobe wirkt zart, das Brutale lieb. Auch das ist Propaganda, aber in ihrer sanftesten Form.

Johannes Touché

 
 
 
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