Ausgabe 1 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Berlin 1905

27. Januar bis 23. Februar

Das ist das Wahre! Brauner, weißschäumender Trank, den sie Bockbier nennen, sei willkommen! Bockbier – der Name ist plebejisch, wie das Pfeifen eines Gassenjungen, ist ein Hohn auf den Adel deines Wesens, denn du bist von wahrhafter Größe, wert, nur von den Besten vertilgt zu werden, bist national wie eine Bratwurst, sozial wie eine Parlamentsrede Bebels und dabei von idealer Kraft wie ein Zitat aus dem Büchmann. Prosit!

Natürlich unterscheidet man Gersten-, Weizen- und Reisbier sowie Braunbier aus stark gedarrtem, Weißbier aus schwach gedarrtem Malz; je nach der Menge des Hopfens erhält man Süß- oder Bitterbier, je nach der Quantität des verwendeten Malzes für eine gewisse Menge Bier einfaches oder Doppelbier. Alkoholreiche Biere heißen trockene, im Gegensatz zu den extraktreichen substantiösen; leichte Biere nennt man die mit geringem Extraktgehalt, schwache solche mit wenig Alkohol, starke, worin viel Alkohol, und schwere solche, die sich durch größern Extraktgehalt auszeichnen. Prosit!

Während man in Frankreich seit 1870 unter „Bock" einen Seidel bayrisches Bier versteht, meine ich jenes stark gebraute Lagerbier, das ähnlich dem Märzenbier mundet, dabei lediglich etwas süßlicher schmeckt. Die Lagerbiere sind Winter- oder Schankbiere, also zum baldigen Verbrauch bestimmt. Aber auch Sommerbiere, die in besondern Kellerabteilungen bis hoch in den Sommer und Herbst liegenbleiben, werden zu den Lagerbieren gerechnet. Die Einführung der Kältemaschine, die das Brauen auch im Sommer gestattet, hat diese Unterschiede mehr und mehr verwischt. Prosit!

Was wollt ihr denn? Ihr sollt nicht immer über unsere Weltregierung klagen, denn sie ist weise wie die Weisheit Salomonis. Früher, als ich noch ein Knabe war, wünschte ich immer, daß der Winter mit Weihnachten vorüber sei und daß mit dem Neujahr auch der Frühling beginnen möchte: Jetzt, da ich ein Mann bin, denke ich anders, denn zwischen Weihnachten und Frühjahr kommt ja das Bockbier. Es ist besser als Pfefferkuchen und Tannenduft, es ist mehr als Frühling, es ist Frühlingshoffen. Und was wir hoffen, wir in unserem deutschen Vaterlande, übertrifft alles, was wir nachher bekommen, um Haupteslänge wie weiland Saul das übrige Volk: Ergo ist Bockbier mehr als Frühling. Prosit!

Wie es so in die Kehle hinunterfließt! Dick wie eine holländische Sauce und glatt wie Öl! O es schmeckt! Und sein schwarzbrauner Glanz lächelt uns an wie ein Schwarzwaldmädchen. Ich wenigstens liebe das Schwarzbraune ­ schwarzbraune Augen, schwarzbraunes Haar ­ wer liebt es nicht? Trinken wir also noch ein Glas ­ denken wir an die Ärmsten, die kein Bockbier haben, z.B. an die Russen in der Mandschurei. Die Kerle liegen da und faulenzen und trauen sich nicht an die Japaner heran. Gebt ihnen Bockbier, ganze Fässer voll, und ihr sollt sehen, was für eine lustige Keilerei entsteht. Ja, schickt den Russen Bockbier, schickt es nach Petersburg, Moskau, Zarskoje Selo! Ich wette, dann vergießen sie kein Menschenblut mehr, sondern nur noch Bockbier, und der Katzenjammer wird gelinder sein ... Prosit!

In diätetischer Hinsicht ist Bockbier nichts anderes als eine etwa fünfprozentige Nährstofflösung, enthält Nahrungsstoffe in leichtverdaulicher Form, na also, Prosit! Auch wenn ihre Menge dabei so gering ist, daß auch sehr gutes Bier kaum mit Obst auf eine Stufe gestellt werden kann. Aber als Getränk regt das Bier die geistigen Funktionen an, Hungergefühl wird unterdrückt und eine leichtere physische oder psychische Abspannung überwunden. Es wirkt besonders auch durch seinen Gehalt an Hopfenbitter und Kohlensäure auf die Verdauung. Ein gut gehopftes Bier regt die Absonderung des Darmsaftes und die Tätigkeit der Nieren an und befördert bei anhaltendem Genuß Vollblütigkeit und Fettbildung. Daher ist es anämischen, magern Personen, die gleichzeitig an atonischer Verdauungsschwäche leiden, zu empfehlen, und Rekonvaleszenten genießen es bisweilen mit größerm Vorteil als schwere Weine, Prosit!

Noch ein Glas! Sie sagen immer, ein Dutzend ist genug. Ich bestreite es. Das ist das Erhabene am Bockbier, daß jedes nächste Glas immer seliger macht als das vorhergehende. Und soll man einen Menschen an seiner Seligkeit hindern? Sie sagen auch, der Bock stößt. Mag sein, aber uns stößt ja manches auf, was bitter schmeckt, und Bockbier ist süß wie Honig und Honigseim. Also trinkt!

Falko Hennig

Am 2. Februar um 20.30 Uhr lädt Falko Hennig zu Radio Hochsee mit dem Thema „Schöner Leiden. Hypochonder im Leben und in der Literatur" ins Kaffee Burger, Torstraße 60, Mitte. Gast-Experten sind Ulf Geyersbach und Rainer Wieland.
Weitere Informationen unter www.Falko-Hennig.de

 
 
 
Ausgabe 1 - 2005 © scheinschlag 2005