Ausgabe 1 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Unzensiert und billig

Freifunk statt Telekom

Das Menschenrecht auf Bildung und Information wird durch die im nationalen wie globalen Maßstab bestehenden Ungleichgewichte im Zugang zu Bildung und Information konterkariert. Eine Ursache hierfür ist die zunehmende Privatisierung von Telekommunikationsdienstleistungen. Auch hierzulande sind leistungsfähige Internetanbindungen weiterhin sehr teuer und für ärmere Haushalte kaum zu finanzieren. Immerhin darf sich glücklich schätzen, wer überhaupt einen Zugang zur schnellen Internetanbindung hat – denn die DSL-Technik ist nicht überall verfügbar, wie das Beispiel Süd-Friedrichshain zeigt. Derartige Versorgungsdefizite geben einen Vorgeschmack auf das zukünftige Schicksal strukturschwacher Regionen, in denen sich teure Telekommunikationsinfrastrukturen für die Branche nicht lohnen.

Sie befördern allerdings auch kreative Potentiale. So führte ein Treffen mit Londoner Funknetzaktivisten im Jahr 2002 dazu, in Süd-Friedrichshain die fehlenden DSL-Anschlüsse per Funknetz zugänglich zu machen. Hierfür wurden Richtfunkstrecken zu Providern in Nord-Friedrichshain eingerichtet ­ die Anfänge eines expandierenden Berliner Funknetzes waren gemacht.

Das Funktionsprinzip der Funknetze ist bestechend einfach. Ihre Basis stellen an Computer angebundene sog. „Access-Points" (APs) dar, die in Verbindung mit einer billigen Antenne als Sender eine Funkinsel von wenigen hundert Metern schaffen. Innerhalb dieser Funkinsel kann sich nun jeder WLAN-fähige Computer in das Funknetz einklinken ­ und damit z.B. auch den DSL-Anschluß des an den AP angeschlossenen Rechners nutzen. Die hohe Datenübertragungsrate im WLAN ermöglicht aber auch Anwendungen wie Community-Radio oder Voice-over-IP-Telefonie. Durch die Überlappung von verschiedenen Funkinseln oder deren Verbindung per Richtfunk entsteht ein wachsendes Funknetz, welches eine kostenlose und freie Kommunikation der Nutzergemeinschaft ermöglicht.

Dieser Prozeß vollzieht sich in Berlin seit 2003 und erfährt derzeit einen regelrechten Boom. Neben dem relativ gut ausgebauten Funknetz in Friedrichshain entsteht nun auch in anderen Bezirken die notwendige Infrastruktur, indem Funknetzaktivisten APs einrichten. Gleichzeitig versuchen mehrere Haus- und Kulturprojekte, sich per Richtfunk miteinander zu vernetzen und damit ihren Austausch zu verbessern sowie ein bezirksübergreifendes Funknetz zu schaffen. Die jüngste Entwicklung dürfte ihre Ursache vor allem in der Senkung der „technischen Hürden" haben, die zuvor viele „Normal-User" abschreckten. So war bis vor kurzem die Einrichtung eines zuverlässig funktionierenden AP auch für Funknetzprofis eine Herausforderung. Nach zwei Jahren Entwicklungsarbeit gibt es aber mittlerweile eine vorkonfigurierte Lösung, die einfach zu nutzen und preisgünstig ist.

Andere Probleme werden sich hingegen nicht in Eigenregie beiseite schaffen lassen. So ist der Funknetzbetrieb nur auf zwei sehr kurzwelligen Frequenzen möglich. Dies bedingt, daß zwischen zwei APs bzw. dem AP und dem Computer, der sich in die lokale Funkinsel einklinken will, Sichtkontakt bestehen muß ­ jede Wand und jeder Baum sind für die Funkwellen unüberbrückbare Hindernisse. Die Einrichtung eines AP sollte daher in der Regel auf dem Hausdach erfolgen, und der eigene Computer muß mit diesem AP per Kabel verbunden werden ­ für Normalmieter eine schwierige Situation. Eine Freigabe weiterer, „unempfindlicherer" Frequenzen ist nicht in Sicht, auch wenn die EU-Kommission den Mitgliedsländern eine Förderung von Funknetzaktivitäten empfiehlt.

Die vielleicht größte Herausforderung aber wird darin bestehen, wie eine wachsende Nutzergemeinschaft mit den vorhandenen Ressourcen des Funknetzes umgeht. So kann über eine Nutzeridentifizierung den im Netz befindlichen Computern ein spezifisches Datenvolumen zugeteilt werden. Dadurch kann man beispielsweise anfallende Betriebskosten auf bestimmte Vielnutzer verteilen und diese zahlenden Netzwerker bei der Verteilung von Datenvolumen bevorzugen. Trotzdem sollte aber immer „freies" Datenvolumen verfügbar sein, um allen im Sendebereich lebenden Menschen eine Nutzung zu ermöglichen. In der Verantwortung der Nutzer liegt auch, welche Inhalte per Funknetz verfügbar sind und inwieweit datenintensive Nutzungen das Funknetz für andere blockieren. Die in den letzten Jahren entstandene idealistische Freifunk-Community sieht sich diesbezüglich also ähnlichen Herausforderungen gegenüber wie die frühen Nutzer des Internet ­ wobei sich letztere dem Kontrollbedürfnis der staatlichen Sicherheitsbehörden und den Kommerzialisierungsinteressen der Wirtschaft beugen mußten.

Sicher ist, daß freie Funknetze im digitalen Zeitalter eine unzensierte und kostenlose Kommunikation ermöglichen können, ohne von marktorientierten Wirtschaftsunternehmen abhängig zu sein. Stellen sie in den größeren Städten der Industriestaaten eher eine Möglichkeit der billigen Kommunikation und soziokulturellen Vernetzung dar, so könnte ihre Bedeutung für arme und strukturschwache Regionen ungleich größer sein. Denn wo die Einrichtung digitaler Infrastrukturen nicht renditeträchtig ist, werden Funknetze die einzige für die Bewohner erschwingliche Möglichkeit sein, ihr Bedürfnis nach Kommunikation und Information zu befriedigen. Als Beispiel hierfür kann eine entlegene dänische Region gelten, deren Bewohner ihre Internetanbindung in die eigene Hand nahmen und über Jahre ein funktionstüchtiges, selbstverwaltetes Funknetz aufbauten, das mittlerweile mehrere zehntausend Menschen für ein geringes Entgelt versorgt.

Thorsten Friedrich

Weitere Informationen zum Thema gibt es unter www.freifunk.net und www.wave-berlin.de

Interessierte treffen sich zudem jeden Mittwoch ab 20 Uhr in der c-base, Rungestr. 20, Mitte.

 
 
 
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