Ausgabe 1 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Agentur für Chaos

Irgendwie war man doch einigermaßen überrascht, als Staatssekretär Dietmar Staffelt (SPD) Mitte Januar nach einem Besuch mehrerer Berliner Arbeitsagenturen zu dem Schluß kam, in der Hauptstadt habe der Start der Hartz IV-Reformen gut funktioniert. Unwillkürlich drängte sich der Verdacht auf, Staffelt müsse durch ein Paralleluniversum getapert sein. Von den hanebüchenen Pannen, die mit der Hartz IV-Einführung einhergingen, hatte er offensichtlich nichts mitbekommen: nichts von der Überforderung vieler Hartz IV-Vollstreckungsbeamter und ihrer Helfer, denen man noch nicht einmal gesagt hatte, wer oder auch nur welches Amt denn nun genau wofür zuständig ist, von endlosen Wartezeiten in den Agenturen (da saß manch Irregeleiteter stundenlang erst vor dem einen Büro, dann vor dem zweiten, dritten, vierten), von tausenden verschwundenen Akten, fehlenden Geldauszahlungen und den daraus folgenden verbalen und tätlichen Attacken auf Agenturmitarbeiter.

Hartz IV präsentierte sich anläßlich seines Starts ­ gerade in Berlin ­ als ein schlecht vorbereitetes und aufgeführtes Laienspiel, als ein recht dilettantisches Herumgemurkse. Um das zu sehen, mußte man kein Gegner der Arbeitsmarktreform sein, kein Zweifler, der meint, Hartz IV schaffe keine neuen Arbeitsplätze, sondern die Voraussetzung für Lohndumping und lasse die Bundesagentur für Arbeit zur „Agentur für Armut" verkommen. Selbst Angehörige der das Chaos verantwortenden rot-grünen Regierungskoalition sahen „Probleme" oder wenigstens eine Berliner „Sondersituation". Staffelt jedoch sah nichts, ein vollkommen Blinder unter den Einäugigen.

Bisher funktionierte Hartz IV einzig als Arbeitsbeschaffungsmaßmahme innerhalb der Arbeitsagenturen: Offensichtlich unterbeschäftigte Beamte aus Bürgerbüros und von Beschäftigungsgesellschaften vermittelte Umschüler durften als sogenannte zusätzliche externe Hartz IV-Berater an der Umsetzung der Reform mitwirken. Angeblich sollen sogar Ein-Euro-Jobber zum Einsatz gekommen sein (die als selbst Betroffene wohl manch guten Tip an die ratsuchenden Arbeitslosen weitergeben konnten). Jetzt soll das Personal der Jobcenter in Berlin und Brandenburg nochmals um 800 neue Stellen aufgestockt werden – wohlgemerkt nicht, um der eigentlichen Aufgabe der Agenturen, der Vermittlung von Arbeit, nachgehen zu können, sondern lediglich um das beim Reformstart entstandene Chaos in den Griff zu bekommen. Jetzt soll noch einer sagen, Hartz IV schaffe keine neuen Arbeitsplätze.

Roland Abbiate

 
 
 
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