Ausgabe 10 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Die Fettesten überleben

Im Deutschen Schweinemuseum

Schon seit 1993 existiert südlich von Berlin wenig beachtet eine bundesweit einzigartige Einrichtung. Das im Teltower Ortsteil Ruhlsdorf gelegene Museum kann – wie das Deutsche Bergbaumuseum oder das Deutsche Architekturmuseum – für sich Singularität beanspruchen. Wenn man von der Einrichtung noch nichts gehört hat, dann liegt das daran, daß man sich in Ruhlsdorf bislang mehr dem Auf- und Ausbau der Sammlung als der Pressearbeit gewidmet hat und als von einem Förderverein getragene Institution mit ehrenamtlichen Mitarbeitern keine allzu großen Sprünge machen kann. Außerdem wird es dem Interessierten nicht gerade einfach gemacht, ist das Museum doch nur an Donnerstagen zugänglich, in den Sommermonaten auch einmal im Monat sonntags, ansonsten nach Vereinbarung – für den schweineinteressierten Journalisten konnte immerhin schnell ein Termin gemacht werden.

Von Mitte aus angereist muß der nichtmotorisierte Ruhlsdorf-Besucher am S-Bahnhof Lichterfelde Ost in einen Schienenersatzbus wechseln, der umständlich durch den Außenbezirk, anschließend durch Teltow kurvt: ein zersiedeltes Niemandsland, quietschbunt aufgemotzte Plattenbauten, Supermärkte, Wohnwagen-Verkauf, AOK, Schilder weisen auf einen Tierfriedhof. Erst wenn man diese wenig ansprechende Agglomeration hinter sich gelassen hat, ist man richtig auf dem Land, und das Teltow zugeschlagene Ruhlsdorf ist auch ein richtiges Dorf. Wo der Bus hält, beginnt die Dorfstraße, nach wenigen Metern erreicht man den Gutshof, auf dessen Gelände sich das Deutsche Schweinemuseum befindet. Hier wurde 1918 die erste Versuchswirtschaft für Schweinehaltung gegründet, aus der sich eine bedeutende Forschungseinrichtung entwickelte, die dann zu DDR-Zeiten weiter ausgebaut wurde. An der Lehr- und Versuchsanstalt konnte man sich einer „Ruhlsdorfer Ausbildung" unterziehen; 1989 arbeiteten hier noch über 100 Menschen, heute beschäftigt die verbliebene Landesprüfstelle nur noch eine Handvoll Fachleute.

Der mich dort empfängt, wo sich früher Futterküche und Musterwerkstatt befanden, hat selbst bis 1989 in Ruhlsdorf gearbeitet und ist jetzt als Rentner an seine einstige Wirkungsstätte zurückgekehrt. Auf jeden Fall ist es empfehlenswert, sich durch die Ausstellungsräume führen zu lassen, wo man sich in einer in Heimatmuseums-Manier angehäuften, erdrückenden Fülle an Materialien und Gerätschaften orientieren muß. Denn das Deutsche Schweinemuseum informiert umfassend, von der Entwicklung der Hausschweinerassen über Schweinehaltung, Fortpflanzungstechnik, Schlachtung, den Organisationen der Schweinezüchter und der Geschichte der Ruhlsdorfer Anstalt bis hin zur kulturhistorischen Bedeutung des Schweins, das ja nicht nur in Ortsnamen wie Sauteichmühle, Ebersroda, Schweinsbach oder Sauen allgegenwärtig ist, sondern überhaupt im Alltag ­ angefangen bei Kontaktanzeigen, wo Schweine sich anbieten oder gesucht werden, bis hin zur Meldung im Deutschlandfunk, wo in der Nacht vor Wildschweinen auf der Fahrbahn in der Nähe von Halle gewarnt wird. Schweinehaltung bereits seit 9000 Jahren, erfahre ich, womit das Schwein neben dem Hund als das zweitälteste Haustier gelten darf; Rinder beispielsweise wurden das erst sehr viel später. Die große Bedeutung des Schweins in alten Kulturen illustriert ein Foto, auf dem zu sehen ist, wie Sakaifrauen selbst mutterlose Ferkel säugen.

Mit der Schweinezucht allerdings wurde erst im 19. Jahrhundert in Großbritannien begonnen. Für eine Selektion, eine unbeabsichtigte Zucht sozusagen, hatte man aber zuvor schon gesorgt, indem man die fettesten Exemplare immer gleich geschlachtet hatte, so daß sich hauptsächlich die verschonten kleineren fortpflanzen konnten, weshalb die Schweine im Laufe der Zeit immer mickriger wurden. Das zu ändern, waren die Züchter angetreten. In Deutschland setzten sich zwei Rassen durch, mit denen man auch in Ruhlsdorf arbeitete und sie weiter zu verbessern suchte: das besonders fruchtbare Deutsche weiße Edelschwein und das durch seinen Fleischansatz überzeugende Deutsche veredelte Landschwein. Sogenannte bunte Rassen wie das Baldinger Tigerschwein blieben bei der Selektion auf der Strecke und gelten seit den sechziger Jahren als ausgestorben; Liebhaber versuchen, diese alten Rassen durch Rückkreuzung wieder aufleben zu lassen. Im Falle etwa des Rotbunten Husumers ist das auch gelungen.

Aus Züchtungsanstrengungen in der DDR resultierten die Schwerfurter (Schwerin-Erfurter) Fleischrasse und das Leicoma-(Leipzig-Cottbus-Magdeburg-)Schwein. Mit der Zeit änderten sich auch die Anforderungen. War in Nachkriegszeiten ein hoher Fettanteil durchaus erwünscht, so ist er das heute nicht mehr, konnte von 30 Prozent (1900) auf 10 Prozent (1990) gedrückt werden. In Ruhlsdorf wurde daran mit Ultraschall und Robotron-Technik gearbeitet, auch werden allerhand Gerätschaften zur künstlichen Besamung gezeigt, etwa das „Phantom", das Zuchteber bespringen müssen, um deren verdünntes Sperma auf möglichst viele Sauen zu verteilen. Ein besonders verdienstvoller Eber steht ausgestopft im Museum. Die DDR-Schweinezucht konnte 1989 eine Trächtigkeitsrate von 80,7 Prozent und durchschnittlich 10,5 lebende Ferkel pro Wurf melden.

In einem erst jüngst renovierten Raum wird derzeit eine Sonderausstellung gezeigt, die aus dem Fundus von Dagmar Schmauks schöpft. Die Semiotikerin zählt zu ihren Forschungsschwerpunkten ­ neben der Orientierung im Raum durch Zeichen und semiotischer Aspekte von Sterben und Tod ­ auch Schweine. Anhand von Texten und Bildern aus Presse und Werbung wird illustriert, welche „schweinischen Eigenschaften" dem Fleischlieferanten gemeinhin zugeschrieben werden: Fröhliche Schweinchen mit einem Messer im Rücken werben für Metzgereien, aber auch der Steckdosen Club Deutschland e.V. greift auf eine Schweineschnauze zurück. Eine Schlagzeilen-Blütenlese fördert einen „Terminator" zutage, der ein „Sex-Ferkel" in sein Wahlkampf-Team holt und „Nightclubber", die im Pool „die Sau rauslassen", an anderer Stelle wird dekretiert: „Objektivität ist Schweinerei."

Eine Schweinerei sind auch Massentierhaltung und Tiertransporte; wie sich Gepflogenheiten und Richtlinien im Laufe der Zeit verändert haben, kann man ebenfalls im Schweinemuseum nachvollziehen. So weit, sich grundsätzlich über die Schlachtung von Schweinen zu empören, geht die Liebhaberei dann aber doch nicht. Interesse und Zuneigung zu den Tieren, dafür bürgt auch mein Führer durch das Deutsche Schweinemuseum, lassen sich durchaus mit dem Appetit auf Eisbein vereinbaren. Die Optimierung der Fleischqualität war schließlich auch immer das oberste Ziel der Anstrengungen in Ruhlsdorf.

Florian Neuner

Das Deutsche Schweinemuseum, Dorfstraße 1, in Teltow-Ruhlsdorf, ist derzeit nur an Donnerstagen von 10 bis 16 Uhr oder nach Vereinbarung geöffnet, fon 03328/436105 oder 4360, www.deutsches-schweinemuseum.de

Foto: Heimatkunde Klasse 4

 
 
 
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