Ausgabe 10 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

musik für die massen

ElektroLux

Gibt man bei Google das Stichwort Styrofoam ein, wird man als erstes auf die Styrofoam-Homepage verwiesen und findet hier: Produktdaten, technische Hinweise zu Lagerung und Verarbeitung der Styrofoam-Produkte. So erfährt man zum Beispiel, daß Styrofoam ein Elastizitätsmodul nach DIN EN 826 enthält. So etwas ähnliches besitzt auch das Elektroprojekt gleichen Namens aus Brüssel. Auch ohne Produkthinweise wird beim Einlegen in den CD-Player klar, wofür man Nothing Lost (Morr Music) verwenden kann: Kuschlige Abende, an denen es nur recht sein kann, daß es inzwischen so früh dunkel wird und der Wind da draußen auch immer ungemütlicher. Eigentlich ist Styrofoam ein Soloprojekt, doch auf Nothing Lost sorgten diverse Gastmusiker wie Markus Archer und Valerie Trebeljahr (Notwist/Lali Puna) für eine vielschichtige Elektro-Wohlfühl-Platte.

Bei Michaela Melian ist es genau umgekehrt: Eigentlich ist sie Sängerin und Bassistin bei der Münchner Band FSK. Jetzt hat sie nach längerem Vorlauf auf dem Berliner Label Monika eine CD produziert, die zu den herausragendsten Platten des Jahres gehört. Baden-Baden bewegt sich zwischen kühler repetitiver Elektronik und einer Wärme, die durch ein großes Spektrum an Begleitinstrumenten entsteht. Violincello, Gitarre, Orgel, Akkordeon und Melodika hat sie selbst dazu eingespielt. Die Klarheit, die durch die sehr geradlinig eingesetzte Elektronik entsteht, bekommt Tiefe und Dichte durch die akustische Instrumentierung. Was die Platte aber endgültig zu einem Juwel macht, ist der letzte Track, denn mit ihrem Gesang reißt Melian Zeit und Raum in einen Strudel. Ähnlich wie Nico von Velvet Underground moduliert sie ihre Stimme kaum: bittersüße Melancholie fernab von Pathos ... schlicht und wunderschön.

Tempo, Technik, Teamwork heißt die aktuelle Werkschau des inzwischen von Köln nach Berlin umgezogenen Labels Staubgold. Allerdings will die Alliteration nicht so recht aufgehen, denn Tempo ist definitiv nicht die Sache der bei Staubgold verlegten Musiker. Fast alle Songs loten auf die ein oder andere Weise die Möglichkeiten der Entschleunigung aus. Galt Staubgold eine Zeitlang als Sammelbecken für experimentelle Elektronik, so hat sich das Profil des Labels deutlich verbreitert und versammelt inzwischen unterschiedliche Spielarten abseits des Mainstreams. Zwar dominieren Bands und Projekte mit Schwerpunkt auf elektronischen Experimenten, doch gehören inzwischen auch eher akustisch geprägte Projekte mit zur Labelfamilie, wie das Slow-Motion-Free-Jazz-Projekt Kammerflimmer Kollektiv oder das Berliner Projekt The Kat Cosm, das an der musikalischen Erweiterung klassischer Folksongs experimentiert. 36 Stücke auf zwei CDs, die sich alle durch Unaufgeregtheit auszeichnen und eine geschlossen-intensive Atmosphäre erzeugen.

Marcus Peter

 
 
 
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