Ausgabe 10 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Berlin 1904/05

Der Fotograf Willy Römer

Fotos von ihm kennt jeder, bei manchen mag es das von Karl Liebknecht bei einer Rede sein, anderen hat sich vielleicht eher Hitler ins Gedächtnis eingebrannt. Von dem Berliner Pressefotografen Willy Römer gibt es fast keine biographischen Dokumente und überhaupt keine Aufzeichnungen wie Briefe oder Tagebücher. Nur sein fotografischer Nachlaß ist fast vollständig erhalten.

Immerhin hat Diethard Kerbs für den Katalog der sehr empfehlenswerten Ausstellung herausfinden können, daß Willy Römer am 31. Dezember 1887 um 18 Uhr geboren wurde, er war viertes und zweitjüngstes Kind des Berliner Schneidermeisters Jacob Römer und seiner zweiten Ehefrau Anna Helene Alvine Römer, geborene Heinz. Am 1. April 1894 wurden Willy Römer und seine Schwester Hedwig Louise Martha gemeinsam in der evangelischen Sophien-Gemeinde getauft. Sein Vater ist vermutlich relativ früh gestorben, denn schon im Konfirmationsregister von 1902 ist hinter seinem Beruf „Schneidermstr." ein kleines Kreuz eingezeichnet. Die Famile lebte in der Lothringer Straße 57 (heute Torstraße) am Rosenthaler Platz.

Am 1. April 1903 begann Römer bei der Berliner Illustrations-Gesellschaft eine Lehre, das war die erste Firma in Berlin, die sich ausschließlich der Herstellung und Vermarktung von Pressefotos widmete. Zwar gab es auch schon vorher Institutionen wie Zander&Labisch oder Becker&Maaß, die gelegentlich Fotografien für Presseillustrationen ausführten, doch dienten sie nicht ausschließlich diesem Zweck.

Die Berliner Illustrations-Gesellschaft war 1900 von Karl Ferdinand Delius, Martin Gordan und Heinrich Sanden gegründet worden. Heinrich Sanden hatte seine kaufmännischen Kenntnisse durch Arbeit bei einer Bank erworben, Karl Delius hatte an der Berliner Kunstakademie studiert und wurde Lehrmeister von Willy Römer. Martin Gordan mußte als Sohn eines wohlhabenden Schuhhändlers seinen Schwiegereltern eine eigene „Existenz" nachweisen und brachte wahrscheinlich das Gründungskapital ein. Die Firma hatte ihren Sitz in der Königgrätzer Straße 62 (heute Stresemannstraße) am Anhalter Bahnhof.

Die Entlohnung von Willy Römer betrug im ersten Lehrjahr 20, im zweiten 25 und im dritten 30 Reichsmark im Monat. 1908 bis 1912 arbeitete er bei seinem Lehrherren in Paris, der sich inzwischen Charles Delius nannte. Dort war zur selben Zeit auch Walter Bernstein beschäftigt, der später Kompagnon von Willy Römer in der Firma Photothek wurde. 1912 und 1913 war Römer bei der Internationalen Illustrations-Co. beschäftigt, dann bei der Pressebildagentur Robert Sennekke und 1914 bis 1915 wieder bei der Berliner Illustrations-Gesellschaft. Römer arbeitete mit einer 13x18-Nettel-Deckrullo-Plattenkamera und fotografierte 1918 und 1919 unter anderem Demonstrationen, Kämpfe, Wachposten, Sanitäter und Barrikaden, geriet dabei mehrfach selbst in Gefahr. Er konnte dabei sogar seine eigene Verhaftung fotografisch festhalten.

Selbst heute gibt es noch Zeitzeugen, die Römer erlebt haben, sie erinnern sich an einen kleinen, lebhaften Mann, oft in Eile, sehr gesprächig und zu Scherzen aufgelegt. Er konnte gut mit Kindern ungehen, kam beim Kaffee am Nachmittag das Gespräch auf ein historisches Thema, sei er in sein Zimmer gerannt und mit vielen Bildern zurückgekommen: „Das habe ich auch fotografiert." Ein Kosmopolit und ein Künstlertyp sei er gewesen, der, immer korrekt gekleidet, statt eines Hutes oft eine Baskenmütze trug. Seine Extravaganz äußerte sich darin, daß er zu Anzug und Krawatte gelegentlich ein rotes Hemd trug.

Falko Hennig

Auf den Straßen von Berlin, der Fotograf Willy Römer 1887-1979, Deutsches Historisches Museum, Ausstellung bis zum 27. Februar, 10-18 Uhr, Eintritt 2 Euro, bis 18 Jahre frei

Am 8. Dezember lädt Falko Hennig um 20 Uhr ins Kaffee Burger, Torstraße 60, Mitte, zu Radio Hochsee mit dem Thema Riesenschlangen mit echtem Tier und am 22. Dezember (gleiche Stelle, gleiche Welle) zusammen mit Heiko Werning zu einem Abend über Doc Schoko. Weiteres unter www.Falko-Hennig.de

Foto: Katalog.

Zweisitziges Fahrrad eines Berliner Konstrukteurs. „Um das Hintereinandersitzen wie beim Tandem zu vermeiden, hat er diesmal die Sitze nebeneinander angeordnet, und so genießen beide Fahrer die gute Aussicht. Aber beim Lenken müssen beide einig sein ­ die Lenkstangen sind nämlich gekoppelt."

 
 
 
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