Ausgabe 09 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Sinnsuche mit Spaßfaktor

Das Gorki Studio experimentiert zum Thema Glauben

Eine Schrift im Kasten neben der Eingangstür leuchtet auf: „Play". Dann öffnet sich die Tür, sie kommen auf die leere Bühne aus Holzimitat und flüstern: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe."

Im Gorki Studio wird mit dem ersten Teil eine Trilogie eröffnet, in der sich in dieser Spielzeit drei Teams in drei unterschiedlichen Werkstätten mit dem The-ma Glauben beschäftigen. Es geht um die Bibel (GLAUBE I), um 40 Jahre DDR-Geschichte (GLAUBE II) und um Fundamentalismus (GLAUBE III). Begonnen wird ­ wie könnte es anders sein ­ mit der Schöpfungsgeschichte. Sie ist der Auftakt einer Serie von Aufführungen der sogenannten Bibel-Factory. Angelehnt an Andy Warhols „Factory", die mit ihrer Mischung aus kreativem Chaos und tabulosen Exzessen eine der produktivsten Kunstwerkstätten der sechziger Jahre war, wollen Regisseur Bruno Cathomas, fünf Schauspieler und diverse Künstler das Buch der Bücher ergründen. Insgesamt vier Monate lang tauchen sie in Geschichten, Mythen und Offenbarungen aus der Bibel ein und verwandeln von frühmorgens bis tief in die Nacht das Gorki Studio in ein eigenes Universum.

Für die Darstellung der Schöpfung reduziert Cathomas radikal die Anzahl der Protagonisten auf fünf. Ihm genügen „Mann" (Adam), „Frau" (Eva), „das Gute", „das Böse" (Schlange) und „Es" (Gott). Dabei wird trotz der drastischen Begrenzung die Inszenierung weder einfältig noch langweilig. Denn Cathomas mischt Originaltexte aus der Bibel mit Texten von Samuel Beckett, greift zu Songs von Herbert Grönemeyer, fügt Passagen aus dem Musical Westside Story hinzu und zitiert Hildegard von Bingen. Es gelingt ihm, dieses scheinbar willkürlich gemischte Textpotpourri sinnvoll zu strukturieren. Auf einmal ist die biblische Schöpfungsgeschichte dem alltäglichen Leben nah, und dieser Effekt ist kein Zufall, sondern hart erarbeitet. Auf den Proben wird improvisiert, gefeilscht und heißblütig diskutiert. Vier Hospitanten protokollieren jeden Satz, alles wird von einem Filmteam festgehalten, nichts geht verloren. Jede spontane Geste wird weiterentwickelt, es wird bis zur physischen und psychischen Erschöpfung probiert. Cathomas experimentiert mit den noch jungen Schauspielern, läßt ihnen Freiraum, läßt sie sich entwickeln und auf die Reaktionen der Zuschauer reagieren. Keine Vorstellung gleicht daher der vorhergehenden, jede ist einzigartig.

Das Bühnenbild unterstützt diese Intention. Zeigt die Schrift im Kasten neben der Eingangstür „Play", dann halten sich die Schauspieler an die Vorgaben von Cathomas. Bei „Don't play" improvisieren sie. Dieses System ist für das Publikum anfangs nachvollziehbar, doch dann unterlaufen die Akteure ständig die Erwartungshaltungen. Irgendwann gibt der Zuschauer die Suche nach dem Prinzip auf, um sich ganz auf das Schauspiel einzulassen. Und das ist gut, denn es geht darum, Dinge zuzulassen und auszuprobieren, ohne sie gleich im Keim zu ersticken.

Das Gorki Studio kann sich nicht über mangelndes Interesse beklagen. Alle Vorstellungen waren bisher restlos ausverkauft. Trost finden Abgewiesene entweder in der eigens eröffneten Bar namens „Glauben und Trinken" oder im dienstäglichen „Bibel Corner", wo sich jeder Besucher für zehn Minuten die Bühne kaufen und sein eigenes Programm machen kann. Alle Räume, Garderoben und Foyers sind zudem für das Publikum geöffnet, und Ausstellungen, Performances sowie Parties mit DJs bilden das Rahmenprogramm für die „Sinnsuche in fünf Teilen", wie Cathomas seinen GLAUBE I-Zyklus nennt. Teil II (Law and Order) und Teil III (Held und Propheten) haben demnächst Premiere. An drei Abenden gibt es eine lange Nacht, in der alle fünf Stükke zu sehen sind. Es lohnt sich.

Hannah Bauhoff

Bibel-Abende im Gorki Studio, Hinter dem Gießhaus, Mitte, von 4. bis 6., 11. bis 13., 18. bis 20. und 25. bis 27. November jeweils um 20.30 Uhr, www. gorki.de

 
 
 
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