Ausgabe 09 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Kunst kann auch ein Verbrechen sein"

Zwischen Revolution und Intervention: Kunst, die sich nicht um Gesetze schert

Foto: Steffen Schuhmann
Foto: Steffen Schuhmann

Der instruktive Katalog der Ausstellung legal/illegal, die derzeit in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) gezeigt wird, kann auch in den Ausstellungsräumen eingesehen werden. In einer Sitzecke, gruppiert um einen Monitor, der die dümmliche Fresse von George W. Bush kurz vor seiner Irak-Kriegserklärung zeigt – eine Fernsehanstalt war zu früh auf Sendung gegangen und verbreitete irrtümlich die grimassierenden Lockerungsübungen des Kriegstreibers –, kann man in dem Katalog blättern, der allerdings, wie in Museen üblich, an einer Schnur befestigt ist und so anscheinend vor Diebstahl geschützt werden soll. Dabei gibt es Künstler, die den Ladendiebstahl als Kunstform pflegen – so sind in der Ausstellung neben einer Holzkiste mit „Stolen Objects" von Timm Ulrichs auch Radkappen zu sehen, die Dennis Oppenheim in Kalifornien abmontiert hat, und auch Ann Messner bediente sich 1978 bei C&A in Köln, ohne zu bezahlen, und deklarierte diese Vorgehensweise als Kunstaktion. Man sollte sich aber dennoch zweimal überlegen, den Katalog in der NGBK einfach mitgehen zu lassen, denn die Ausstellung ist – angeblich – videoüberwacht.

Wann und warum aber geraten Künstler mit Gesetzen in Konflikt ­ als Künstler wohlgemerkt und nicht als drogengebrauchende oder besoffen autofahrende Bürger? Da ist zunächst einmal das sattsam bekannte Szenario, daß Personen sich persönlich angegriffen und verunglimpft fühlen, daß nach dem Richter gerufen wird, weil angeblich religiöse Gefühle verletzt werden oder Pornographie verbreitet wird. Noch immer gibt es Literaten, die ihre Schmutzwäsche mit abhandengekommenen Partnerinnen schlecht verhüllt in Romanen waschen; noch immer treibt Hermann Nitschs Orgien Mysterien Theater nicht nur Tierschützer, sondern auch Katholiken auf die Barrikaden; noch immer können aus der Luft gegriffene Pornographie-Vorwürfe ­ wie jüngst im Kunstraum Kreuzberg (s. scheinschlag 4/2004) ­ zu wütenden Schmähungen in Boulevard-Medien führen. So weit, so langweilig. Interessanter wird es, wenn ein Kunstwerk nicht nur gleichsam als Betriebsunfall mit Gesetzen in Konflikt gerät, sondern die Gratwanderung an der Grenze der Legalität ins künstlerische Kalkül einbezogen wird. Solchen Phänomenen widmet sich jetzt die NGBK und verfolgt sie zurück bis zu den historischen Avantgarden zu Beginn des 20. Jahrhunderts, wobei eine Entwicklung von revolutio-nären Angriffen auf Staat und Gesetz hin zu immer raffinierteren, aber auch vorsichtigeren Interventionen deutlich wird.

Wenn Janice Kerbel minutiös eine Gebrauchsanweisung für einen Bankraub in London erarbeitet und sich dabei Sicherheitsmängel zunutze macht oder die Gruppe p.t.t.red das Sicherheitssystem der New Yorker Freiheitsstatue so genau analysiert, bis sie auf eine Lücke von 15 Minuten stößt, die es erlaubt, die 56 Scheinwerfer mit roten Filtern zu verhüllen und die Statue in rotem Licht erstrahlen zu lassen, dann müßten die Sicherheitsbeauftragten diesen Künstlern eigentlich dankbar sein. Solche Aktionen machen auf Lücken und Fehler im System aufmerksam ­ und führen letztlich doch nur dazu, daß diese behoben werden. Nicht weiter verwunderlich ist es auch, daß mit einer herrenlosen Kiste der New Yorker U-Bahn-Verkehr zum Kollaps gebracht werden kann und daß die Polizei eine öffentlich gezeigte Tafel mit der Bauanleitung für eine Bombe von Gregory Green in Potsdam gleich wieder abmontiert. Solche mehr oder weniger gewitzten Interventionen und Delikte ­ vom Bullensperma- oder Käseschmuggel bis hin zur Entführung eines Stadtrundfahrt-Busses in Berlin ­ sind in legal/illegal Fallbeispiele aus jüngerer Zeit.

Dieter Kunzelmann, der mit seinen Eierwürfen auf Eberhard Diepgen zuletzt eine eher komische Figur machte, war in den sechziger Jahren Mitglied der Gruppe „Spur", des deutschen Ablegers der in Paris begründeten „Situationistischen Internationale", und steht somit für einen politisch radikalen Ansatz, der sich nicht mit kleinen Störmanövern begnügte, sondern auf nichts weniger als auf die Revolution zielte. Dadaistisch anmutende Aktionen und politische Manifestationen vermischten sich damals derart, daß Wolf Vostell schon ­ avantgardistische Utopie ­ die Grenze zwischen Leben und Kunst aufgehoben sah. Einen Kaufhausbrand in Brüssel mit 251 Toten stellte die von Kunzelmann gegründete Westberliner „Subversive Aktion" auf einem Flugblatt wissentlich falsch als Tat einer belgischen Anarchistengruppe hin: „Unsere belgischen Freunde haben endlich den Dreh heraus, die Bevölkerung am lustigen Treiben in Vietnam wirklich zu beteiligen: Sie zünden ein Kaufhaus an, zweihundert saturierte Bürger beenden ihr aufregendes Leben, und Brüssel wird Hanoi." Die Polizei reagierte auf das Flugblatt mit Hausdurchsuchungen und Verhaftungen. „Wenn Kunst und Leben in eins gesetzt werden, kann ein explosives Gemisch entstehen", kommentiert Eckhart Gillen im Katalog, ob solcher Tabubrüche sichtlich erschrocken ­ und stellt die „terroristischen, menschenverachtenden und mörderischen Aktionen" der RAF, reichlich fragwürdig, als direkte Folge dieser Künstler- und Anarchistengruppen, gar des Wiener Aktionismus hin.

Wenn man, wie Helen Adkins in ihrem Essay, Marinetti, Johannes Baader oder Franz Jung mit ihrem kraftmeiernden Gefasel vom „Neuen Menschen" zitiert, scheint ihre Einordnung in ein totalitäres Horrorkabinett des 20. Jahrhunderts nur allzu naheliegend ­ und doch sollte man es sich mit dem heute allzu konsensfähigen „Avantgarde-Bashing" nicht so leicht machen. An Demagogie grenzt es, wenn Adkins den Dadaisten Baader mit Idi Amin Dada, in den siebziger Jahren Diktator in Uganda, vergleicht, dem Morde und Kannibalismus vorgeworfen werden.

Wo Künstler noch mehr wollten, gar politische Umstürze anstrebten, war natürlich auch die Fallhöhe größer. Gillen schreibt: „Heute erleben wir dagegen den postmodernen Verzicht auf die radikalen, extremen Kunstsprachen der Moderne, mit denen Passionen, Tragödien, Sinndeutungen und Sehnsüchte formuliert worden sind. Immer weniger ist die kulturelle Sphäre noch von der kommerziellen zu unterscheiden. Die Künstler scheuen den hohen Ton aus der Furcht, sich lächerlich zu machen." Ob man das einen Fortschritt nennen soll?

Franz Jung schließlich, von dem ein gefälschter Ausweis als Reliquie in der Ausstellung hängt, weil er im Auftrag der kommunistischen KAPD einen Fischdampfer von Cuxhaven ins revolutionäre Rußland entführte, hätte diese Schiffsentführung niemals als Kunstaktion betrachtet sehen wollen. Daß diese Ausstellung Auswege zeigt, die aus der Kunstwelt heraus zur politischen Aktion führen, ist freilich nicht ihr geringstes Verdienst. Sehr viel zu sehen gibt es dort nicht, und das zeichnet die vertretenen Künstler letztlich sogar aus. legal/ illegal dokumentiert Ansätze und Strategien, denen es nicht zuerst darum geht, Futter für die Augen und Ware für Galeristen zu produzieren. So kann man den Katalog („ein Ideen-Handbuch der Guerilla-Art"), der mit einer umfangreichen Chronologie künstlerischer Grenzverletzungen aufwartet, auch als das Hauptereignis bezeichnen. Wir empfehlen, das gut gemachte, kleinformatige Büchlein, das bequem in jede Jackentasche paßt, mitgehen zu lassen.

Florian Neuner

„legal/illegal. Wenn Kunst Gesetze bricht", noch bis zum 28. November in der NGBK, Oranienstr. 25, Kreuzberg, täglich von 12 bis 18.30 Uhr. Der im Stuttgarter Schmetterling Verlag erschienene Katalog kostet 17 Euro.

Es ist unerheblich, gegen den Staat zu sein. Gesetze sind eine unsicher kindliche Vorstufe. Löst man sie auf – selbst zweifelnde Versuche zum Jasagen. Wer aber wirklich Ja sagt, durchwächst den Automatismus des Staates, so daß die Möglichkeit eines Konfliktes auch die Probe auf die Reinheit des Lebenswillens ist.

Eine bis zum Atemzug gesteigerte Verengung und Zwangsprojektion durch einen fremden, unkörperlichen Organismus müßte, wird sie psychisch zum Automatismus aufgesogen, das klarste und glückstärkendste Lebensbewußtsein gebären und würde in der Tat entfremdenden Bedrückungen soweit enthoben sein, daß alles fremde Leid diesem Bewußtsein konfliktlos zuströmt.

Keiner soll sich um den andern kümmern und nicht eher ruhen, als bis er soweit ist, daß die Existenz dieses andern von selbst für ihn Intensität steigernd wirkt. Es ist durch die ewig und geordnet steigende Zahl der ihm Zuströmenden, mit denen die gleiche Entwicklung der Auseinandersetzung immer wieder die gleiche Probe verlangt, ausgeschlossen, daß der Mensch an der inneren Glut freiwerdenden Glücks verbrennt. Die neugewonnene Wucht bleibt in das entsprechend gleiche Verhältnis zur Übernahme gesetzt. Man wird sich und hundert Schwächere in sich mitleben.

Aber ich empfinde, daß die Zeit da ist, auch die Gesetze der Schwerkraft aufzulösen. (Die Wunder der Bibel werden eine Spielerei sein.) Es bröckelt bereits an der Kruste vom Bewußtsein entblätterter Naturgesetze, der neue Mensch dehnt sich. Aber ...

Aus: „Feinde ringsum" von Franz Jung

 
 
 
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