Ausgabe 09 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Soldiner Kiez verleumdet!

Der Soldiner Kiez machte in der letzten Zeit meistens negative Schlagzeilen. Das Bild einer Verslumung wurde oft von Medienarbeitern auf der Suche nach einer schnellen Story produziert. Auch das Quartiersmanagement benutzt oft das Ghettoklischee, vielleicht auch um die eigene Unentbehrlichkeit zu demonstrieren. Die Bewohner reagierten häufig empört auf solche Schnellschüsse. Sie fühlen sich in ihrem Kiez wohl und haben nicht das Gefühl, im Slum zu wohnen.

Eine Umfrage der AG Kiezforschung im Soldiner Kiez e.V. gibt jetzt den Gefühlen der Bewohner eine wissenschaftliche Grundlage. Dabei ging es den Mitarbeitern nicht von vornherein darum, Kritik am Kiez abzuwenden. „Das Ergebnis stand nicht von vornherein fest", betont Thomas Kilian. Der langjährige Bewohner des Soldiner Kiezes ergriff mit Freunden die Initiative, um eine eigene Befragung durchzuführen. Weil sie alleine die Arbeit nicht schafften, suchten sie per Aushang an den Universitäten erfolgreich Mitstreiter. Sie machten sich über ähnliche Forschungsprojekte kundig, erarbeiteten Fragebögen und begannen dann mit den Interviews. Insgesamt 24 Bewohner des Soldiner Kiezes nahmen an den Befragungen teil. Zwar kann die Umfrage damit kaum als repräsentativ gelten, doch wurde immerhin darauf geachtet, daß sich die unterschiedlichen Milieus, die dort leben, auch in den Befragungen widerspiegeln.

Die Fragen drehen sich um die eigene Einstellung zum Kiez, um die Sichtweise der eigenen Familie auf ihr Lebensumfeld. Außerdem wollten die Kiezforscher wissen, was die Befragten von den Pressemeldungen über den Kiez halten. Im dritten Block ging es um die konkrete Lebenssituation der Bewohner, das Verhältnis zur Nachbarschaft und zu den Ämtern. Die Auswertung hat deutlich gemacht, daß das Ghetto- oder Slumimage die Wirklichkeit im Kiez nicht widerspiegelt. Zwar leben dort viele Menschen mit geringem Einkommen, die auch häufig von Schikanen auf den Ämtern berichten ­ beispielsweise der 25jährige Erkan, der mit Frau und Kind von Sozialhilfe lebt. „Da weiß ich manchmal nicht, ob ich meinem Kind ein Eis kaufen kann", erzählt er. Allerdings leben dort auch viele Angehörige der Mittelschicht und haben auch nicht vor wegzuziehen. „Mir macht der Kiez keine Angst," meinte eine 38jährige Lehrerin im Interview. Sie schätzt neben den niedrigen Mieten und dem hohen Altbaubestand auch die Nähe zu Parks und Grünanlagen.

Als größtes Problem bezeichnen viele Bewohner das schlechte Image des Kiezes. Das geht so weit, daß sich Besucher weigern, in den Kiez zu kommen. Die AG Kiezforschung hofft, daß die Ergebnisse zu einer differenzierten Sicht auf das Viertel beitragen. Am 5. November wird die AG Kiezforschung im Soldiner Kiez e.V. die Ergebnisse erstmals im Stadtteil öffentlich vorstellen. Auf die Debatte darf man gespannt sein.

Peter Nowak

Die Kiezkonferenz „Was ist dran am schlechten Ruf? Binnensicht versus Außenwahrnehmung" mit dem Sozialstadtrat Christian Hanke und dem Stadtsoziologen Hartmut Häußermann findet am 5. November um 19 Uhr in der Andersen-Grundschule, Kattegatstraße 26, Wedding, statt.

 
 
 
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