Ausgabe 08 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

„Hier gibt's eigentlich alles"

Der Markt am Maybachufer

Auf dem Markt herrscht fröhliches Geschiebe und Gedränge, kryptisches, formelhaftes Marktgeschrei ertönt allenthalben, auf Türkisch, auch auf Deutsch: da ein „Nur 79 Cent hier!", dort ein fulminant anschwellendes „Jetzt biddeschönnbiddeschönnbiddeschönn!" oder ein verlockendes „Lecker, lecker, lekker!" Das Absurde: daß man nur selten mitbekommt, welche Waren denn eigentlich auf solch hymnische Weise angepriesen werden. Viele türkische Hausfrauen mit Kopftüchern und den nahezu unvermeidlichen zweirädrigen Gefährten mit festgezurrter Einkaufstasche, ihren rollenden Rieseneinkaufstaschen, sind unterwegs, dreadlockbezopfte, maiskolbenknabbernde oder kinderwagenschiebende Deutsche, Afrikaner, Vietnamesen, die Leute aus den anliegenden Kiezen, zwischendrin einige verirrte Ausflügler, die den Weg zur Schiffsanlegestelle suchen. Auch ein fusselbärtiges Männchen bahnt sich seinen Weg durchs Gewühl: Auf einem Rollwagen zieht er eine Lautsprecherbox hinter sich her, aus der indisches Liedgut dröhnt. Hin und wieder setzt er ein Mikrophon an die Lippen und stimmt ein: „Hare Krishna. Hare Rama..."

Der sogenannte Türkenmarkt am Maybachufer in Neukölln ist kein Flohmarkt, schon gar kein Schwarzmarkt, er ist ein hochoffizieller Wochenmarkt; nur vor dem eigentlichen Marktbereich, auf der Kottbusser Brücke, lagern ein paar fliegende Händler, die auf ausgebreiteten Decken Kinderspielzeug und allerlei Plunder zur Schau stellen.

Das Besondere an diesem Markt, der zweimal in der Woche, dienstags und freitags, abgehalten wird, ist die Größe und die Lebendigkeit, die (nun ja!) beinahe südländische Atmosphäre ­ die einige der als Journalisten oder Shopping-Ratgeber dilettierenden Marktgänger davon faseln läßt, man fühle sich hier „fast wie in Istanbul" ­ aber noch viel mehr das reiche, internationale Angebot. Nirgendwo in Berlin gibt es ein so großes Obst-und Gemüsesortiment wie hier: In den beiden langen, dichtgefüllten Reihen am Ufer des Landwehrkanals werden außer den Produkten aus dem Umland, Äpfeln, Birnen, Pfifferlingen, nicht nur Oliven oder Artischocken feilgeboten, sondern auch Maniok, Süßkartoffeln, Papayas und vieles, was auf anderen Märkten nicht zu haben ist. Außerdem bekommt man hier alles mögliche, praktische, notwendige: Küchengerätschaften, Stoffballen in allen erdenklichen Farben, Fladenbrote, Kinderklamotten, Reißverschlüsse. Kein Keramik-Schnickschnack, keine Batiktücher. Was den Markt am Maybachufer von den meisten Berliner Wochenmärkten wie etwa dem auf dem Winterfeldtplatz oder dem auf dem Kollwitzplatz unterscheidet, sind aber auch die niedrigen Preise. „Hier gibt's eigentlich alles, und es ist so billig wie nirgends sonst!" belehrt mich eine tütenbehängte Frau Mitte 40, offensichtlich Stammkundin, am Gewürzstand. Der Türkenmarkt, das ist nicht nur der große bunte Basar, sondern gewissermaßen auch der ALDI unter den Wochenmärkten mit dem dazugehörigen Publikum. Mittelständische Flaneure oder besserverdienende Biofanatiker sind hier eher selten zu sehen. Der Türkenmarkt ist entsprechend ein Markt im herkömmlichen Sinne, wie es ihn in Berlin mittlerweile kaum noch gibt.

Gegen Ende der Marktzeit setzen die Obst- und Gemüsehändler die Preise für ihre Waren herab. Das Geschrei nimmt zu, um die Stände bilden sich dichte Trauben. „Eine Kiste zwei Euro! Sechs Kilo Tomaten zwei Euro!" Ich, professioneller Abstauber und Schnäppchenjäger, der ich bin, drängle mich durch, nehme prüfend eine Tomate in die Hand und setze einen Kennerblick auf, werde von zwei matronenhaften türkischen Mamas beiseite geschoben, geschubst, stolpere über eines dieser fahrbaren Einkaufstaschenungetüme, stürze hin... die Tomate landet einem Kinderwagenkind im Schoß. Ich sage: „Biddeschönn!" und trolle mich zu einem der weniger umlagerten Stände. Dort zeige ich auf eine mir unbekannte Frucht und frage den Händler: „Was ist denn das da? Schmeckt das?" Der Händler nimmt ein Messer, schneidet die Frucht auf und reicht sie mir: „Mußt du probieren!"

Walter Poref

 
 
 
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