Ausgabe 08 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Ich bin nirgends am Platze, ich bin überall fremd"

Das Kreuzberg Museum würdigt den Naturwissenschaftler und Literaten Adelbert von Chamisso als Entdeckungsreisenden

Wer die Ausstellung betritt, gelangt zunächst ganz unvermittelt in einen Schiffsbauch. Das liebevoll arrangierte Environment soll die „Rurik" evozieren, jenes russische Schiff, mit dem Adelbert von Chamisso im Sommer 1815 zu einer dreijährigen Weltreise aufbrach. Ziel der Expedition war die Suche nach einer Nordostpassage zwischen Beringstraße und Nordmeer zum Nutzen der „Russisch-Amerikanischen Handelskompagnie", man nahm aber auch Naturwissenschaftler und Maler mit an Bord. Der damals 33jährige Chamisso, der auf eine solche Gelegenheit – eine Forschungsreise, an der er sich finanziell nicht beteiligen mußte – gewartet hatte, hatte bereits eine bewegte Biographie hinter sich. Mit seiner adeligen Familie war er 1796 auf der Flucht vor der Französischen Revolution nach Berlin gekommen und dort bald standesgemäß in die preußische Armee eingetreten. „Dieser Beruf verdorrt den Geist und tötet das Herz", klagte er bald – es sollte aber noch schlimmer kommen: Die Napoleonischen Kriege machen ihn zum Vertreter einer feindlichen Nation. Nach Frankreich will Chamisso aber auch nicht zurückkehren, und so sieht er sich 1805 in einem Regiment, das gegen die Franzosen kämpfen soll. Er betreibt seinen Ausstieg aus dem Militärdienst und geht erst mal doch wieder nach Paris. Dort trifft er wiederum auf eine ganze Reihe deutscher Intellektueller, u.a. Alexander von Humboldt und Ludwig Uhland, die sich vom napoleonischen Frankreich angezogen fühlten.

In diesen ganzen Jahren ist Chamisso zerrissen zwischen den beiden Ländern und Kulturen: „Ich bin ein Franzose in Deutschland und Deutscher in Frankreich, Katholik bei den Protestanten, Protestant bei den Katholiken, Jakobiner bei den Aristokraten und bei den Demokraten ein Adeliger. Ich bin nirgends am Platze, ich bin überall fremd." Erste literarische Versuche hatte er als Jugendlicher auf Französisch gemacht, war dann in Berlin aber in deutsche Dichterkreise geraten und hatte 1804 zusammen mit Karl August Varnhagen einen „Musenalmanach" herausgegeben.

1811 entscheidet sich Adelbert von Chamisso dann endgültig für Berlin und entschließt sich, dort an der neugegründeten Universität Naturwissenschaften zu studieren. Noch vor Beendigung seiner Studien folgt die praktische Bewährung auf der Expedition mit dem russischen Schiff. Die wissenschaftliche Ausbeute ist groß: Über 100 Pflanzen und Tiere werden nach ihrem Entdecker Chamisso benannt, der nach seiner Rückkehr in Berlin zum Ehrendoktor ernannt wird und eine Anstellung am Botanischen Garten erhält. Und auch die kulturelle Identitätskrise scheint gelöst, das Gedicht „Bei der Rückkehr" spricht eine deutliche Sprache und ruft die „deutsche Heimat" an. Neben der wissenschaftlichen Karriere wächst auch seine Anerkennung als Dichter, obwohl er die Litera-tur nur als Nebenbeschäftigung betrachtet.

Auch die Kreuzberger Ausstellung legt das Hauptaugenmerk auf den Naturforscher Chamisso und stellt die Weltreise 1815-18 in den Mittelpunkt. Die läßt sich anhand der kolorierten Zeichnungen des mitreisenden Künstlers Ludwig Choris gut illustrieren, dazu kommen Präparate, die Chamisso von der Expedition mitbrachte. Ein Film, den man sich im Schiffsbauch ansehen kann, rollt die Stationen der Reise auf, die u.a. nach Alaska, Hawaii, in die Südsee und nach Südamerika führte. Chamisso nahm an ihr nicht nur als Naturwissenschaftler teil. Er interessierte sich auch für die fremden Sprachen ­ arbeitete sogar noch später in Berlin an einem Wörterbuch der hawaiischen Sprache ­ und war im übrigen auf der Suche nach Kulturen, die noch in Einklang mit der Natur lebten. Die Marshall-Inseln schienen diesem Ideal sehr nahe zu kommen, während er in Kalifornien wütend beobachten mußte, wie die spanischen Missionare die indianischen Kulturen vernichten. Mit Kadu von den Karolinen-Inseln freundet sich Chamisso an und wird von ihm schreiben als „einem der schönsten Charaktere, den ich im Leben angetroffen habe, einen der Menschen, den ich am meisten geliebt".

Zur Ausstellung ist ein instruktiver Katalog erschienen, der auch die Expedition nachzeichnet. Von der Überlebtheit der Chamissoschen Dichtung scheinen die Ausstellungsmacher auszugehen und konzentrieren sich ganz bewußt auf den Wissenschaftler, der etwa in Alaska heute noch als Botaniker bekannt ist. Der Katalog verzeichnet nicht nur akribisch alle nach Chamisso benannten Pflanzen und Tiere, sondern – ganz Heimatmuseum – auch die Initiativen und Projekte, die der Kiez um den Chamissoplatz in den letzten Jahrzehnten gesehen hat. Der Weltreisende wird heimgeholt nach Kreuzberg und hatte in der Friedrichstraße 125 ja auch seinen letzten Wohnsitz auf Kreuzberger Territorium. Daß der „aufgeklärte Romantiker"als Identifikationsfigur für ein (post)modernes, „interkulturelles" Selbstverständnis dienen kann, zeigt auch der Adelbert-von-Chamisso-Preis, der in München an deutsch schreibende Autoren vergeben wird, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Mit der Japanerin Yoko Tawada und dem Syrer Adel Karasholi lesen zwei Chamisso-Preisträger im Rahmenprogramm der Ausstellung.

Florian Neuner

„Mit den Augen des Fremden. Adelbert von Chamisso. Dichter, Naturwissenschaftler, Weltreisender", noch bis zum 3. April 2005 im Kreuzberg
Museum in der Adalbertstr. 95a, Mi bis So 12 bis 18 Uhr, Eintritt frei, Katalog: 19,80 Euro

Am 22. Oktober liest die Chamisso-Preisträgerin Yoko Tawada um 19.30 Uhr im Museum

 
 
 
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