Ausgabe 08 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Bei Trost

Machen wir uns doch nichts vor. Wer von uns liebt schon die Realität? Doch je heftiger wir vor ihr fliehen, desto schneller, desto unmittelbarer und gnadenloser holt sie uns zuweilen ein. Genauso ergeht es dem Hauptakteur in dem Buch Tage mit Trost von Roland Lampe.

Was heißt hier Hauptakteur? Agiert dieser Trost überhaupt selbst? Wird mit ihm nicht ständig etwas gemacht, über seinen Kopf hinweg über ihn verfügt? Ein seit Anbeginn vom Leben Gedemütigter, der offensichtlich ständig kurz davor steht zu resignieren, aber letztlich doch nicht aufgibt. Aus der Froschperspektive seiner furchtsamen Existenz wird manches scheinbar Belanglose zur Katastrophe. Zwischenmenschliche Bedrohungen lauern überall: Er kann nicht aus der U-Bahn aussteigen, weil er die Blicke der anderen Fahrgäste fürchtet, ihn hält eine innere Stimme davon ab, seinem guten Freund telefonisch zum Geburtstag zu gratulieren, weil jeder Zeitpunkt hierfür nur ungeeignet sein kann.

Wozu das Ganze? fragt man sich bei der Lektüre mal abschätzig, mal belustigt, mal mitfühlend und mitunter auch verärgert. Der Autor konfrontiert uns mit einer Abfolge tragikomischer Alltagskatastrophen. Jede Leserin und jeder Leser wird sich selbst daran messen: Gott, wie depressiv; ein Glück, daß ich nicht so bin! Oder, andersherum: Wie treffend! Er schreibt mir aus der Seele. Das ist es, was Trost spendet.

Untermalt wurde das Ganze feinsinnig von Thomas Lünser. Seine charaktervollen Zeichnungen begleiten die Texte, ohne sich allzu eng anzuschmiegen. Sie kommentieren die Geschichten lakonisch, neckisch, verständnisvoll. Und bescheren ein Vergnügen eigener Art.

Martin Bering

Roland Lampe: Tage mit Trost oder Das Leben kann so schön schwer sein. Kurze Geschichten. Mit Illustrationen von Thomas Lünser. Nora Verlag, Berlin 2003. 11,50 Euro

 
 
 
Ausgabe 08 - 2004 © scheinschlag 2004