Ausgabe 08 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Zeitkapseln aus Kanada

Mit marktschreierischen Groß-Ereignissen hält sich der Martin-Gropius-Bau im Moment zurück, indes wird – nach August Sander (s. scheinschlag 9/2003) und Henri Cartier-Bresson – mit einer Ausstellung über kanadische Fotografie der Ruf des Hauses als erste Adresse für hochkarätige Foto-Ausstellungen weiter gefestigt. Die Ausstellung könnte in ihrer Anlage umfassender kaum sein, präsentiert sie doch die kanadische Fotografie, die in Europa immer schon im Schatten US-amerikanischer Lichtbildnerei stand, von ihren Anfängen Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die unmittelbare Gegenwart, wobei man eine Lücke zwischen dem frühen und dem späten 20. Jahrhundert gelassen hat. Mit „Broken Ground" versuchen die Kuratoren außerdem den Spagat zwischen einer Überblicksausstellung und einer thematischen Fokussierung, die man mit „Land und Leute" umschreiben könnte.

Dabei genügen die 27 historischen Bilder aus dem kanadischen Nationalarchiv durchaus einem Kanada-Klischee, das vielen im Kopf herumgeistern mag: Unberührte Landschaften, Jagdszenen und „Eingeborene" bestimmen die dokumentarischen Fotografien. Der Sprung in die Gegenwart konfrontiert mit sechs Fotografen, die ihren Platz in der internationalen Foto-Kunstszene haben; da verspricht der Blick nach Kanada heute natürlich keine exotischen Überraschun-gen mehr, sehr wohl aber qualitätvolle Arbeiten. So zeigt Andrew Danson Danushevsky – zusammen mit Hansgert Lambers Kurator der Ausstellung – To-ronto Portraits: In den siebziger Jahren hat er 65 Freunde und Zufallsbekanntschaften in ihren Wohnungen fotografiert und diese Prozedur mit 18 von ihnen 20 Jahre später wiederholt. Thaddeus Holownia dokumentiert seit Ende der Siebziger Kleinstadt-Tankstellen, die in ihrer Individualität bedroht sind und durch Normbauten ersetzt werden. Rafael Goldchain schlüpft in seinen Selbstportraits in die Rollen seiner osteuropäisch-jüdischen Vorfahren, während es in David Hlynskys Wilderness Camp doch wieder richtig kanadisch wird.

hb

„Broken Ground. Kanadische Fotografie im 19. Jahrhundert und heute", noch bis zum 8. November im Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstr. 7, Kreuzberg, Di bis So 10 bis 20 Uhr

 
 
 
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