Ausgabe 08 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Dauerkolonien und Mohrrüben

Spuren deutscher Kolonialgeschichte im Berliner Stadtbild

Im November diesen Jahres jährt sich die Berliner Afrika-Konferenz zum 120. Mal. Damals lud Bismarck die westeuropäischen Kolonialmächte in die Wilhelmstraße, um gemeinsam den afrikanischen Kontinent unter sich aufzuteilen. Man kann sich lebhaft vorstellen, wie die hohen Herren vor der großen Landkarte standen und sich um ungesicherte Wasserstellen, bloß erahnte Berge und nur unvollständig kartographierte Wüsten und Steppen balgten. Der Einfachheit halber zog man einen Großteil der Grenzen gleich mit dem Lineal, ungeachtet der dort lebenden Bevölkerungsgruppen, die ohne ihr Einverständnis und zunächst ohne ihr Wissen in Staaten zusammengepfercht oder durch neue Grenzen voneinander getrennt wurden. Vermutlich schlagen sich auch darum noch heute einige von ihnen gegenseitig die Köpfe ein. Ganz nebenbei riß sich der belgische König den Kongo unter den Nagel, um ihm in einer jahrezehntelangen blutigen Fremdherrschaft sein Elfenbein und Gold abzupressen.

Um an die Konferenz, ihre katastrophalen Folgen und ihre Auswirkungen auf die Gegenwart zu erinnern, bereitet eine Initiative von Deutschen und Afrikanern eine Antikolonial-Konferenz im November in Berlin vor. Bereits seit März laden sie zu einer „Anticolonial City-Tour", einer Stadtrundfahrt an die Orte, an denen die Spuren der Kolonialzeit noch besonders deutlich ablesbar sind. Die Tour beginnt in der Neuköllner Wissmannstraße, benannt nach einem Afrikaforscher und Kolonialoffizier, der als Natur- und Elefantenschützer zu dieser Ehre kam. Weitere Stationen sind der Garnisonsfriedhof am Columbiadamm, das „Afrika-Haus" Am Karlsbad, die Mohrenstraße, die Wilhelmstraße, in der die Berliner Konferenz stattfand, die Berliner Missionsgesellschaft in Prenzlauer Berg, die Ziegelstraße, die die von Virchow angelegte anthropologische Schädelsammlung beherbergt, und das Afrikanische Viertel im Wedding. An all diesen Stationen klären die drei Initiatorinnen der Stadtrundfahrt über die Bedeutung und den geschichtlichen Kontext dieser Orte auf. Daß die Referate von unterschiedlichen Leuten gehalten werden, die jeweils eigene Schwerpunkte setzen und in Stil wie in politischer Haltung sich unterscheiden, sorgt dafür, daß die fast vierstündige Veranstaltung nicht zu lang erscheint. Dabei scheint der Prozeß der gemeinsamen Aneignung der Geschichte von den Initiatorinnen noch nicht abgeschlossen: Sie nutzen die kurzen Fahrten mit dem Bus, um neue Rechercheergebnisse auszutauschen oder historische Interpretationen zu diskutieren.

Kolonialismus war nicht nur Sache der Briten, Franzosen, Holländer und Portugiesen. Zwar war Deutschland die letzte europäische Großmacht, die sich an diesem weltweiten Monopoly beteiligte, doch lag das kaum daran, daß die Deutschen weniger imperialistischen Neigungen frönten. Bismarck interessierte sich bloß mehr für Osteuropa, gewissermaßen die naheliegendere und auch viel preiswertere Ersatzkolonie. Erst Wilhelm II. befand, daß zu einer ernstzunehmenden Großmacht auch Besitztümer in exotischer Umgebung gehören. Der anhaltende Bevölkerungswachstum ließ schließlich immer mehr Deutsche nach Amerika auswandern, wo sie dem Volk für immer verloren waren, anstatt ihm auch jenseits der Heimat wirtschaftlich und kulturell zu dienen. Der zunehmende Militarismus des neuen Kaisers paßte zudem wunderbar zu einer militärischen Eroberung neuer Reiche.

Hererosteine

Zwar gab es auch vor 1880 schon deutsche Siedler, Forscher und Handelsleute in Afrika ­ der brandburgische Kurfürst besaß schon im 17. Jahrhundert Kolonien im heutigen Ghana ­ doch erst jetzt wurden sie generalstabsmäßig durch kaiserliche Schutztruppen begleitet. Zu den deutschen Kolonien gehörten insbesondere die heutigen Länder Kamerun, Togo, Tansania und Namibia. Der deutsche Kolonialismus währte zwar nicht lange ­ denn schon 1918 mußte Deutschland im Zuge des Versailler Vertrages seine fernen Gebiete an den Völkerbund abtreten. Doch sein Wirken in Afrika war darum nicht weniger effektiv. Als das heutige Namibia an den Völkerbund und unter südafrikanische Verwaltung fiel, hatte die kaiserliche Schutztruppe bereits den ersten Völkermord des neuen Jahrhunderts auf dem Gewissen.

Die deutschen Siedler hatten sich so viele Wasserstellen der Hereros durch Betrug oder über korrupte Häuptlinge angeeignet, daß die Einheimischen sich 1904 zu einem Aufstand entschlossen. Nachdem Major Leutwein ­ damali-
ger Befehlshaber der Schutztruppe in Deutsch-Südwestafrika ­ seinen Job nicht zufriedenstellend erfüllte, wurde General von Trotha mit der Niederschlagung des Aufstandes betraut und befahl kurz darauf im Einverständnis mit dem Reichskanzler von Bülow die vollständige Ausrottung der Herero. Nach der entscheidenden Schlacht am Waterberg wurden die übriggebliebenen Herero in die Wüste Omaheke getrieben und die wenigen Wasserstellen abgeriegelt. Wer dennoch überlebte, wurde in Konzentrationslager verbracht, in denen noch einmal über die Hälfte der Internierten an der Zwangsarbeit und den schlechten Lebensbedingungen starben. Exakte Zahlen über den Völkermord gibt es nicht. Man geht mittlerweile davon aus, daß von den 80000 Herero nur 10000 bis 15000 überlebten.

An die systematische Ausrottung der Herero wird in Berlin sogar im öffentlichen Raum gedacht ­ wenn auch auf unbefriedigende Art und Weise: 1973 verpflanzte man den sogenannten Hererostein, der an den Heldentod freiwilliger Mitglieder der kolonialen Schutztruppen gemahnt, von einem Kasernenhof in Kreuzberg auf den Garnisonsfriedhof am Neuköllner Columbiadamm und vervollständigte ihn sogleich mit einem Gedenkstein für alle in Afrika gefallenen deutschen Soldaten ­ einschließlich der Wehrmachtsangehörigen im Zweiten Weltkrieg.

Am 11. August ­ dem 100. Jahrestag der Schlacht am Waterberg und nationalen Gedenktag in Namibia ­ fand sich auf Einladung des Trägerkreises „Erinnern ­ Deutsche Kolonialgeschichte aufarbeiten" eine kleine Gruppe vor dem Hererostein am Columbiadamm ein, um eine provisorische Gedenktafel zu Ehren der afrikanischen Opfer einzuweihen. Gebildet wird der Trägerkreis vom Berliner Entwicklungspolitischen Ratschlag, den Berliner Grünen und der Nichtregierungsorganisation „Solidarität-international e.V.". Die provisorische Tafel mit der Inschrift „Zum Gedenken an die Opfer des deutschen Völkermordes in Namibia 1904-1908" wurde schon wenige Tage später geklaut. Der Antrag im Senat auf Errichtung eines dauerhaften Mahnmals geht jetzt seinen bürokratischen Gang, der allerdings einige Jahre in Anspruch nehmen kann.

Kolonialreich ohne Kolonien

Daß der deutsche Kolonialismus auch nach Verlust der Kolonien nicht beendet war, zeigt eine weitere Station der Stadtrundfahrt, ein ehrwürdiger Altbau Am Karlsbad in Tiergarten. Erst 1911 erbaut, beherbergte er bis 1943 die Deutsche Kolonialgesellschaft, die sich um die Rückführung der Kolonien bemühte. Offensichtlich mit großem gesellschaftlichem Rückhalt: 1914 hatte die Gesellschaft 43000 Mitglieder. Ihr Nachfolger ­ der Reichskolonialbund ­ zählte in den frühen dreißiger Jahren sogar zwei Millionen Mitglieder, zumeist aus dem gehobenen Mittelstand. Das Haus am Karlsbad beherbergte die zentrale Anlaufstelle für Auswanderungswillige, eine Bibliothek und einige in den Kolonien tätige Handelsfirmen. Auch der Frauenbund der Kolonialgesellschaft residierte dort und führte einen Kampf gegen die Zunahme von Mischehen in Afrika und die Konkubinatsverhältnisse mit afrikanischen Frauen, die fast 90 Prozent der deutschen Siedler eingingen.

Das Haus Am Karlsbad gehört mittlerweile dem Senat und steht schon seit einigen Jahren leer. An der Renaissancefassade kann man noch immer die stilisierten Negerköpfe begutachten.

Auch die einstige Funktion eines Hauses in der Georgenkirchstraße am Volkspark Friedrichshain läßt sich deutlich an seiner Fassade ablesen: „Gehet hin und lehret alle Heiden und taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes" prangt dort in restaurierten Blattgold-Buchstaben. Die evangelische Berliner Missionsgesellschaft ­ so wird den Teilnehmern der Bustour berichtet ­ hat bereits selbst mit der Aufarbeitung ihrer Rolle im Kolonialismus begonnen. Zwar gab es auch schon damals Kritik einiger Missionare an dem Vorgehen der Schutztruppen, doch rein pazifistisch war ihr Beitrag nicht, hatten sie doch das Monopol auf den Waffenhandel in den Kolonialgebieten. Immerhin erwarben sich die Missionare in Afrika große Verdienste in der Erforschung und Verschriftlichung einheimischer Sprachen. Denn um den Heiden die Bibel zu lehren, muß man sie zunächst in deren Sprache übersetzen können.

In freier Wildbahn

Vom großen Interesse der Deutschen an Afrika zeugt noch heute das Afrikanische Viertel im Wedding. Um die Jahrhundertwende wurden die dortigen Straßen nach den deutschen Kolonien, Stützpunkten, Afrikaforschern und Eroberern benannt. Anfang des 19. Jahrhunderts plante Hagenbeck in den benachbarten Rehbergen sogar einen Kolonialpark mit exotischen Pflanzen, Tieren und Menschen, natürlich unter Bedingungen wie in freier Wildbahn. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges vereitelte die Planungen. Doch hatten die Berliner schon einige Jahre zuvor die Möglichkeit, sich ausgiebig die Wilden im Zoo oder in der Treptower Kolonialausstellung anzuschauen.

Mitte der achtziger Jahre machte sich eine Bürgerinitiative auf, um eine Umbenennung der Petersallee im Afrikanischen Viertel in der Bezirksversammlung zu erwirken ­ erinnerte doch der Name an Carl Peters, einen besonders skrupellosen Eroberer in Deutsch-Ostafrika, dem heutigen Tansania. Seine Methoden erregten auch unter Zeitgenossen so viel Mißfallen, daß Peters 1895 seiner Ämter enthoben wurde, die der Kaiser ihm zuvor wegen großer Verdienste zugesprochen hatte. In den Dreißigern wurde Peters dann rehabilitiert und die Straße nach ihm benannt. Die Bürgerinitiative schlug vor, die Petersallee nach einem antifaschistischen Weddinger Widerstandskämpfer zu benennen oder auch nach einem antikolonialen Widerstandskämpfer wie beispielsweise dem Hererohäuptling Samual Maharero. Als Kompromißvorschlag geisterte sogar Albert Schweitzer durch die BVV. Doch die machte es sich letztendlich noch einfacher, behielt den Namen Petersallee bei und nahm lediglich eine Umwidmung vor: Wie die kleinen Informationsschilder unter dem Straßennamen am Nachtigallplatz ­ gleich hinter der Schrebergartensiedlung mit dem bedrohlichen Namen „Dauerkolonie Togo e.V." ­ jetzt bezeugen, heißt die Straße nicht mehr nach Carl Peters, sondern nach Hans Peters, einem CDU-Mitglied und Gründungsvater der Berliner Stadtverfassung.

Eine Gruppe Autonomer, denen aus ähnlichen Gründen ein Straßenname nicht gefiel, wandte eine noch einfachere und preisgünstigere Methode der Straßenumbenennung an. Angriffsziel war die Mohrenstraße in Mitte, die ihren Namen erhielt, als eine Delegation Schwarzafrikaner aus der damaligen brandenburgischen Kolonie Großfriedrichsburg im heutigen Ghana die Aufmerksamkeit der Berliner auf sich zog: An der Ecke Glinkastraße sieht man noch die beiden Umlautpunkte auf dem „o".

Katrin Scharnweber

Die Anticolonial City-Tour findet wieder am 10. Oktober und 21. November statt, jeweils um 12 Uhr. Treffpunkt Wissmannstraße/Ecke Hasenheide. Unkostenbeitrag 5 bzw. 3 Euro. Anmeldung erbeten unter
fon 0162/5105520 oder
e-post tour@zeromail.org.
Übersetzungen auf Englisch oder Französisch nach Absprache

Informationen zur Anticolonial Africa Conference Berlin 2004 unter www.africa-anticolonial.org

 
 
 
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