Ausgabe 08 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Die Potjomkinsche Republik

Foto: Rolf Zöllner

Der Einlaß, der in kleinen Grüppchen erfolgt, erinnert ein bißchen an die jugendliche Aufregung vor dem Betreten einer Geisterbahn. Wird man später im Schlauchboot von gummibestiefelten „Stadtführern" übers Wasser gezogen, entstehen die Assoziationen: dichtes Gedränge von Autoscootern, unheimliche Erkundung unterirdischer Höhlen, Totenfluß Archeron. Farbiges Licht bricht sich im grünlichen Wasser, während atmosphärische Musik die Geräusche und Gespräche der Besucher ineinander verschwimmen läßt. Verschiedene „Inseln" schaffen eine rigide orthogonale Ordnung und gliedern die Wasserfläche stärker als eher beliebig abgehängte Fassadenteile. Die Inseln beherbergen surreale Versatzstücke urbaner Realität: ein Postamt, ein Vergnügungsviertel, ein „Ahnenamt".

Die Macher der Fassadenrepublik haben den Raum des Palastes mit einfachen Mitteln umgeprägt, die nicht verborgen, sondern zur Schau gestellt werden, getreu der Koolhaas'schen Devise: „technology + cardboard = reality". So entsteht ein ironisches, manchmal naives, aber vitales Spektakel. Bereits in der Vergangenheit wurde der Kunstgriff mit Erfolg angewandt, einer illusionistischen Fassadenstadt eine größere Überzeugungskraft zu geben, indem man den Betrachter in ein Boot setzt. Im Jahr 1831 stellte Ferdinand Langhans der staunenden Öffentlichkeit ein gemaltes Panorama vor, das mit dem Boot befahren werden konnte und die Szenerie des Golfs von Neapel abbildete.

Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts errichtete William H. Reynolds „Dreamland", einen Park mit 15 Attraktionen auf New York Citys Vergnügungsinsel Coney Island. Unter den Sehenswürdigkeiten befand sich „Canals of Venice": eine verkleinerte Nachbildung des Dogenpalastes (!), die wiederum eine verkleinerte und per Boot befahrbare Replik der wichtigsten venezianischen Kanäle enthielt. „Echte" Gondolieri chauffierten den Besucher unter ewigem Mondlicht enge Wasserstraßen entlang, der auf einer bemalten Leinwand Venedig bewundern konnte.

Die Fortbewegung auf dem Wasser ist eine isolierende. Der Reisende hat keine Möglichkeit, innezuhalten und seine Umgebung eigenständig zu erkunden. Er begibt sich in die Hand des Steuermanns, der damit zum Regisseur des Wahrgenommenen wird. Entfernungen und Proportionen sind nicht mehr verifizierbar; Wasserflächen werden traditionell immer eingesetzt, wenn es um die Schaffung von Distanz geht.

Vom Raumlabor Berlin und Peanutz Architekten wird die Fassadenrepublik beschrieben als „performance, die den prozess architektonischen gestaltens analysiert und die funktion der palasträume neu bestimmt", mit dem Anspruch, daß „die gäste selbst die prozesse der fassadenrepublik und das aussehen der stadt mitgestalten, deren regeln auf einer simulation des architektur- und planungsdiskurses basieren". Die Umsetzung dieser Idee greift jedoch auf ein restriktives Modell von Urbanität zurück, das dem geäußerten Anspruch nach Partizipation widerspricht. Der „Bürger" wird auf das reduziert, was Architekten selbst nicht sein wollen: nämlich Fassadenbehübscher. Scheinbar knüpft man an die Kultur des „voting" an, doch dieses Wahlrecht gilt nur für den banalsten Teil der Stadt, ihre Oberfläche. Selbst dies erschwert die unselbständige Fortbewegung. Der Bürger wird buchstäblich an der Leine geführt, die sich an seinem Schlauchboot befindet. Architekten führen gern Begriffe an wie „ungeplante urbane Dynamik", haben aber offenbar Angst davor, ihre eigenen Schöpfungen dieser Dynamik zu überantworten. Die eigentlich wichtigsten raumgliedernden Elemente der Fassadenrepublik, die Inseln, haben sie fest installiert und dem Zugriff entzogen.

Tim Jannowitz,

7. September, Kunsthochschule Weißensee

 
 
 
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